Handelszeitung,

Ein Diplomat in konstantem Wandel

Martin Dahinden cc

Martin Dahinden – Erstmals werde er sicher länger als vier Jahre in einem Job bleiben, sagt der neue Chef der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Er gilt bei einigen Mitarbeitern als knallharter Sanierer, mag Abwechslung und kann Ja-Sager nicht ausstehen.

Seit seinem Amtsantritt bei der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit lässt Martin Dahinden keinen Stein auf dem anderen. Dennoch kann man sich den neuen Deza-Direktor nicht mit eisernem Besen kehrend vorstellen. Er redet besonnen, mit ruhigen Gesten und zeigt sich begeistert von der Vielfalt seines Amtes – «ein Traumberuf», strahlt er. Wäre da nicht eine auffällig lange Liste von vergangenen Berufsstationen, bekäme man schon fast den Eindruck von einem gemütlichen Menschen. Seine vielen Wechsel kommentiert der promovierte Ökonom gelassen mit: «Nur das Ganze ist das Wahre.»

Die kahlen Wände in seinem Büro scheinen nicht zum Kulturliebhaber zu passen, der in seinen Zwanzigern als freier Mitarbeiter massenhaft Buchrezensionen für den Kulturteil des «Tages-Anzeigers» geschrieben hat. Doch so wenig ihm die weissen Wände seines im letzten Sommer bezogenen Büros behagen, so wenig hatte er bisher Zeit für einen Abstecher in die Kunsthalle des Bundes, wo er sich ein paar Gemälde aussuchen darf. Gerne hätte er etwas Konkrete Kunst. Das würde zum modernen Deza-Gebäude passen und hätte auch einen Bezug zu seiner Heimatstadt Zürich, findet er. Persönlich steht er auf Pop-Art – Warhol und Lichtenstein.

Armut ist für ihn nichts Abstraktes

Kunstwerke hin oder her, am wichtigsten ist es dem 54-Jährigen, etwas Farbe an seinen Arbeitsort zu bringen. Vielleicht auch, weil die Aussichten der Entwicklungsländer wenig rosig sind. Dahinden macht sich keine Illusionen: «Die Entwicklungsländer sind stark betroffen von der Finanzkrise, weil die Exporterlöse einbrechen, die Gelder der Verwandten aus dem Ausland spärlicher fliessen und diese ihre Jobs verlieren oder gar heimkehren.»

Für den Diplomaten, der unter anderem mehrere Jahre als Botschaftsstellvertreter in Nigeria verbracht hat, ist die Armut der Dritten Welt nichts Abstraktes. Das erste Mal in einem grösseren Ausmass Armut erlebt habe er in Nigeria, als er 1990 die Lager mit Flüchtlingen aus Liberia besuchte. Später, als Direktor des Genfer Zentrums für humanitäre Minenräumung, habe er sich intensiv mit Fragen der Armut befasst und beim Besuch von Projekten auch immer mit Opfern gesprochen.

Voodoo hält er nicht für Humbug

Dahinden ist einerseits ein knallharter Rechner und kontrollierter Diplomat. Andererseits ist er offen gegenüber anderen Welten. Er habe immer versucht, die Länder auch ausserhalb der Expatriierten-Kreise und klimatisierten Residenzen kennen zu lernen. Voodoo-Zauber würde er nicht als Humbug abtun. In Westafrika erlebte er ein anderes Verständnis zwischen Traum und Wirklichkeit. Mit Voodoo habe er zwar nicht persönlich experimentiert. Doch: «Ich habe mehrmals erfahren, dass Voodoo-Zauber funktionieren kann.» Ein Bekannter habe zum Beispiel so einen Einbrecher fassen können, als dieser wie versteinert den Tatort nicht mehr verlassen konnte.

Dahinden hat keine blumigen Geschichten über das Elend, das er gesehen hat, auf Lager. Dazu ist er zu nüchtern. Es mache ihn betroffen, wenn er mit solchen Lebensumständen konfrontiert werde. Aber Verzweiflung sei nicht die richtige Strategie, um etwas zu ändern. «Die richtige Strategie ist, dass man sich einsetzt, und dazu habe ich nun als Deza-Direktor gute Gelegenheit», findet er.

Dass die Deza die nötigen Steuergelder erhält, ist nicht selbstverständlich. Noch letzten Frühling schätzten einzelne politische Kreise die Deza-Entwicklungshilfe als zu wenig kontrolliert ein. Deshalb, aber auch angesichts der Wirtschaftskrise, ist es erstaunlich, dass das Parlament letzten November mehr Entwicklungsgelder bewilligte. Den Schwenker des Parlaments will Dahinden nicht mit seiner Person in Verbindung bringen. Den Gesinnungswandel erklärt er damit, dass die Deza aufzeigen konnte, wie die Gelder sinnvoll eingesetzt werden.

Obwohl gerade aus Wirtschaftskreisen viel Kritik an der Deza geübt wurde, beurteilt Dahinden die Beziehungen zwischen der Deza und der Privatwirtschaft nicht als schwierig. Die Kooperation zwischen der Deza und der Privatwirtschaft sei seit langem intensiv, besonders mit Multis wie etwa Nestlé und Novartis.

Die in der Entwicklungsszene verbreitete Vorstellung des Multis, der nur auf kurzfristige Profitmaximierung aus ist, gehöre der Vergangenheit an. Dahinden: «Ich gehe nicht davon aus, dass die Ethik immer in einem Widerspruch steht zu dem, was ökonomisch sinnvoll ist.»

Die Dritte Welt kann man nicht mit Büchern erfassen

Dahinden ist zwar in Büchern zu Hause, doch sieht er deren Grenzen – die Dritte Welt könne man nicht durch Lesen allein erfassen. Vielleicht hat er darum im Alter von 32 Jahren in die Diplomatie gewechselt. Weitere Stationen, die er im Vierjahres-Rhythmus wechselte, waren unter anderem die Schweizer Delegation beim Gatt, die Schweizer Botschaft in Paris, die Schweizer Uno-Mission in New York, die Leitung der OSZE-Sektion des EDA und die Schweizer Mission bei der Nato in Brüssel. Der Diplomat macht dennoch nicht den Eindruck eines unsteten Jobhoppers. «Ich habe mein Leben lang ein sehr breites Interesse gehabt und eigne mich nicht zur Spezialisierung.» Der Mann, den Micheline Calmy-Rey holte, um die Deza neu zu organisieren, hat selber keine Mühe mit Wandel. Weil der Job bei der Deza so viele Facetten habe, denke er überdies für einmal nicht in einem Vierjahreshorizont.

Seine Frau und zwei Kinder im Alter von sieben und zwölf Jahren haben nichts dagegen, dass es ihn nicht so schnell wieder ins Ausland zieht. Für seine Familie versucht er sich am Wochenende freizuhalten, um zu wandern, Velo zu fahren oder abenteuerliche Ausflüge zu machen. Er ist zu sehr Diplomat, als dass er sich zu seinem Privatleben äussern würde.

Ruf eines knallharten Sanierers

Innerhalb der Deza weht unter Dahinden ein anderer Wind. Die Reorganisation soll die Deza wirksamer machen. Im Zuge der bisherigen Reorganisation mussten sich fast 400 von rund 550 Angestellten in der Zentrale intern neu bewerben. Der Umbau geht weiter. Im Moment werden die Kooperationsbüros im Ausland durchleuchtet. Wer sich schwer tut mit Veränderungen, leidet unter Dahinden. Für manche Mitarbeiter gilt er als knallharter Sanierer. Er hingegen zeigt sich überrascht, wie gut alles bisher gelaufen ist: «Ich habe mit mehr Widerstand gerechnet.» Um den Puls der Mitarbeiter zu fühlen, habe er enorm viele Informationsanlässe durchgeführt. «Natürlich waren nicht alle mit den Entscheiden einverstanden», räumt er ein. Das Delegieren scheint ihm nicht schwer zu fallen: «Ich bin froh um ein kritisches Feedback, und dass nicht alle zu allem Ja sagen.»

Im Falle einer Krise gebe es nur eine Strategie. Das habe er als Zuständiger aus der Visa-Affäre in Pakistan und Peru vor einigen Jahren gelernt. «In Situationen, wo Dinge schief laufen, ist es wichtig, dass man alles offen auf den Tisch legt, auch wenn eigene Unzulänglichkeiten im Spiel sind.»

Nicht nur er selbst sucht immer wieder Veränderungen, er ist auch überzeugt, dass wir uns global in einer Zeit starker Veränderungen befinden: «Ich glaube, wir befinden uns an einem Wendepunkt – ich will das nicht übertreiben, die grossen Karten werden möglicherweise neu gemischt.» Seine Hoffnung ist, dass eine Bereitschaft besteht, grössere Würfe zu machen – im Klimaregime und bei der Finanzarchitektur beispielsweise. Anlass dazu geben die neue US-Administration sowie die Tatsache, dass international eine breiter Wille für Investitionen in nachhaltige Projekte besteht, nicht zuletzt um die Wirtschaftsflaute zu überwinden. Ein Wandelnder hofft auf einen Wandel.

«Ich habe mein Leben lang ein sehr breites Interesse gehabt und eigne mich nicht zur Spezialisierung.»

«Ich gehe nicht davon aus, dass Ethik immer im Widerspruch steht zu dem, was ökonomisch sinnvoll ist.»

ZUR PERSON
Steckbrief

Name: Martin Dahinden

Funktion: Deza-Direktor

Alter: 54

Familie: Verheiratet, zwei Kinder

Ausbildung: Dr. oec. publ.

Karriere

Vor 1987 Assistenz Uni Zürich, Mitarbeiter Ex Libris, Tamedia

1987 Diplomatischer Dienst: u.a. Schweizer Delegation beim Gatt, Botschaft Paris und Nigeria, Uno New York, OSZE

2000–2004 Direktor Zentrum für human. Minenräumung, Genf

2004–2008 Direktor Ressourcen und Aussennetz EDA, Bern

Seit April 2008 Deza-Direktor

Führungsprinzipien

1. Glaubwürdigkeit entsteht durch Vorleben und Transparenz.

2. Kommunikation ist der Schlüssel zum Erfolg und eine ständige Herausforderung.

3. Menschen, nicht Planungen sind Träger von Veränderungen.


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