Die Welt,

Zwischen Mythos und Marktöffnung

EIn Alpaufzug im Berner Oberland Foto: Commons

Schweizer Bauern leben hochsubventioniert und müssen sich auf mehr EU-Konkurrenz einstellen

Claudia Gnehm-Laubscher

Zürich – „Die Schweizer Bauern geben Gas“, verkündet Formel-1-Weltmeister Michael Schumacher auf den Plakaten einer Image-Kampagne des Schweizer Bauernverbandes. Tatsächlich macht die landwirtschaftliche Bevölkerung noch vier Prozent der Bevölkerung aus. Der Anteil der Erwerbstätigen im Primärsektor beträgt noch 3,8 Prozent verglichen mit 2,2 in Deutschland (EU-25: 4,7 Prozent).

Obwohl viele Touristen nach der Landung am Flughafen Zürich um die Ecke einen Alpaufzug erwarten, hat die Schweiz den Wechsel vom Agrarland zur Industrie- und Dienstleistungsökonomie genauso rasant vollzogen wie das Umland. 1905 arbeiteten noch 40 Prozent der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft, ähnlich wie in Deutschland, wo es 1900 noch 38 Prozent waren.

Die Zeiten, als fast jeder zweite Schweizer ein Bauer war, sind vorbei. Und um das Interesse des Normalbürgers für die Bauern und ihre Produkte zu wecken, geben sich zugezogene prominente Unterländer wie Schumacher als Aushängeschilder her. Rein ökonomisch gesehen, sind die Bauern und der Primärsektor für die Schweiz bedeutungslos: Die Bruttowertschöpfung beträgt 1,2 Prozent des Gesamtwerts aller Wirtschaftszweige.

Doch das sagt gar nichts aus über den Markenwert des „Bauernlandes“ und die Überlebenskraft des Mythos der sittlichen Alpenbevölkerung. Die weltbekannten Schweizer Markenprodukte von Nestlé, Lindt & Sprüngli, Ricola und Rolex, Swatch, Richemont und der Emmentaler-Käse sind nicht denkbar ohne die Bilder von Alpen, Bergkühen, Heidi, Berner Sennenhunde und Alphornbläser.

Das Wissen um die Verankerung der Mythen in der Bevölkerung ist sicher ein Grund, wieso die starke Banken- und Pharmalobby bei den WTO-Verhandlungen über Liberalisierung und Marktöffnung nicht stärker gegen den Bauernstand schießt. Die Agrarwirtschaft bremst die Öffnung der Schweizer Wirtschaft.

Die regelmäßige Schelte der OECD wegen hoher Agrarsubventionen ist allerdings Wasser auf die Mühlen der Liberalisierer. Zwischen 2004 bis 2006 betrug die staatliche Unterstützung der Landwirtschaft zwei Drittel ihrer Bruttoeinnahmen. Nur in Norwegen und Island lassen sich die Steuerzahler ihre Bauern noch mehr kosten. In der EU25 liegt der Schnitt bei 34 Prozent. Obwohl der Anteil der Subventionen in der Schweiz die letzten 20 Jahre um 12 Prozent gesunken ist, beurteilt die OECD dies im Vergleich mit anderen Staaten als ungenügend.

Je nach Perspektive wirken die Reformschritte äußerst minimalistisch: Weil die Zahl der Betriebe kontinuierlich sinkt, haben sich die Staatsausgaben pro Betrieb seit 1990 auf heute 675 000 Schweizer Franken (umgerechnet 417 000 Euro). verdoppelt. Trotz Konsolidierung bleiben die Schweizer Bauernhöfe mit einer Durchschnittsfläche von 16,7 Hektar relativ klein, die deutschen Betriebe kommen auf 43,7 Hektar.

Die großzügige staatliche Unterstützung des Bauernstandes ist nicht zuletzt auf dessen starke Lobby zurückzuführen. Obwohl der oberste Mann der ehemaligen Bauernpartei SVP und Ex-Bauer, Christoph Blocher, letztes Jahr aus dem Bundesrat geworfen wurde, behalten die Bauern in der Berner Politik eine starke Stellung. So besetzten im Nationalrat 28 Bauern 14 Prozent der Sessel. Der Bauernverband und seine Klientel hoffen natürlich, dass ihre starke Parlamentsvertretung die Pläne der Volkswirtschaftsministerin Doris Leuthard für ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU zu Fall bringen kann.

Die bisherigen bilateralen Verträge Schweiz-EU haben zwar schon einige Handelsschranken abgebaut – so besteht beim Käse seit dem 1. Juni Freihandel zwischen den Partnern. Doch noch schützen Zölle und Kontingente die Schweizer Bauern vor den billigeren EU-Konkurrenzprodukten. Schwarzmaler rechnen damit, dass ein EU-Agrarfreihandelsabkommen die Hälfte der noch bestehenden 62 000 Bauernbetriebe eliminieren wird. Bundesrätin Leuthard hebt die Chancen für Schweizer Bauern auf dem großen EU-Markt hervor.

Umgesetzt werden könnte der Agrarfreihandel mit der EU frühestens ab 2015, zuerst braucht Leuthard aber ein Verhandlungsmandat und genügend Gelder, um die soziale Absicherung der Bauern bezahlen zu können – damit der EU-Freihandel einer Volksabstimmung Stand halten könnte.

Nachdem der Graben zwischen dem ersten und den weiteren zwei Wirtschaftssektoren schon länger immer breiter wird, tut sich nun auch innerhalb des erstens Sektors eine Kluft auf. Die Schweizer Nahrungsmittelindustrie steht im Gegensatz zu den Bauern klar hinter einer weiteren Öffnung gegenüber der EU. Für Milchverarbeiter wie Emmi und Cremo oder die Schwartau-Tochter Hero hätte der Agrarfreihandel zwar sinkende Preise und steigende Konkurrenz aus der EU zu Folge. Aber auch sinkende Rohstoffkosten und bessere Exportmöglichkeiten.

Die großzügige Förderung in der EU wie Investitionshilfen an den deutschen Molkereikonzern Müller Milch etwa gefällt den Schweizer Konkurrenten wie Emmi & Co gar nicht. Der marktführende Einzelhändler und Großproduzent Migros rechnete aus: Hätte ihr neuer Schweineschlachthof Micarna in Courtepin (Welschschweiz) im gleichen Umfang von Investitionsbeihilfen und zinsverbilligten Krediten profitiert wie ein vergleichbarer Betrieb in der EU, könnten die Schlachtkosten um 6,4 Prozent gesenkt werden. Auch die Produktion eines Kilogramms Pommes Chips komme dank öffentlicher Gelder in der EU 35 Rappen billiger als in der Schweiz. In den Agrarverhandlungen innerhalb der Doha-Runde der WTO orientiert sich die Schweiz an der EU-Position. Einzig beim Marktzugang will die Schweiz weniger Zollabbau als die EU mit bis 60 Prozent – die USA fordern 80 Prozent.

Große Angst vor den Konsequenzen der Doha-Runde haben die Bauern derzeit nicht. Angesichts der weltweiten Hausse bei Agrarproduktpreisen frohlockt der Präsident des Bauernverbandes Hansjörg Walter: „Die Schweizer Bauern sind wieder wettbewerbsfähiger.“

Doch er weiß, dass die Agrarreformen in der Schweiz ungeachtet äußerer Zwänge beschlossene Sache sind. Innerhalb der Agrarpolitik 2011 (der nächste Reformschritt) wird bei den Bundesausgaben für die Landwirtschaft von 3,6 Mrd. Franken pro Jahr (7,3 Prozent der Bundesausgaben) der Anteil von Preis- und Absatzsicherungsmittel weiter gestutzt und die an Flächen gebunden Direktzahlungen, Tierhaltungsbeiträge sowie sozialen Ausgaben weiter erhöht. Rund 20 Prozent der Direktzahlungen machen die ökologischen Direktzahlungen aus. Flächen, die nach bestimmten biologischen Vorgaben bewirtschaftet werden, erhalten zusätzliche Ökobeiträge.

Gestrichen werden einige Anachronismen wie der Anbaubeitrag von Hanf. Die Verarbeitungs- und Anbaubeiträge bei Zuckerrüben und Getreide werden jedoch nur minimal gesenkt. Dabei handelt es sich um die volumenmäßig dominierenden Pflanzenprodukte, bei Zucker und Getreiden liegt der Selbstversorgungsgrad bei knapp 100 Prozent. Trotzdem wird mehr Zucker importiert als auf dem Binnenmarkt hergestellt wird, er wird in Form von Schokolade und anderen Produkten reexportiert.

Die Reformen haben bereits viele Opfer unter den Landwirten in der Schweiz gefordert, sie brachten aber auch Gewinner hervor. So stiegen die Käseexporte von 100 Mio. Franken 1995 auf 507 Mio. Franken in 2006. Exportschlager bleibt der Emmentaler (22 000 Tonnen), gefolgt von Gruyère (11 000 Tonnen) und Appenzeller (5300 Tonnen). Total werden 56 068 Tonnen Käse, ein Drittel der Gesamtproduktion, ins Ausland verkauft.

Obwohl die Landwirtschaft Österreichs seit dem EU-Beitritt den Schweizer Bauern als vorbildlich fit getrimmtes Beispiel vorgeführt wird, hat sich der Schweizer Käsemarkt besser entwickelt. Zwar haben sich Österreichs Käseexporte mengenmäßig vervierfacht seit dem EU-Beitritt – in der Schweiz sanken sie leicht. Doch der höherwertige Schweizer Käse erzielt im Export heute trotzdem den gleichen Ertrag.

Seit immer mehr Landwirte Erfolge verbuchen, diversifizieren und Marktnischen erschließen, steht es schlecht um das Mitleid mit jammernden Bauern. Neue Wege gehen, kann auch heißen Übernachtungen und Freizeitaktivitäten anzubieten oder erneuerbare Energie als Nebenerwerb herzustellen. Das Klischeebild der Alpsennen wird heute durchkreuzt von erfolgreichen Ginsengproduzenten, bäuerlichen Eisherstellern und Bananen- und Kiwibauern, die mit der Abwärme von Erdgasleitungen in der Zentralschweiz ihre Tropenhäuser heizen.

Sie alle finden nicht nur regionalen Absatz. Sie sehen sich als Unternehmer, von Jodeln verstehen sie oft gar nichts und Alpaufzüge verwenden sie höchstens auf der Verpackung ihrer Produkte.

Foto: Dieter Seeger Commons

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