Die Welt,

Schweizer Nationaltheater

Die einst stolze Swissair, Inbegriff für Schweizer Qualität und Pünktlichkeit

Der Name Swissair steht für die spektakulärste Pleite der Alpenrepublik. Jetzt wird den Verantwortlichen der Prozess gemacht. Es geht um ein Trauma, das die Nation bis heute plagt.

Claudia Gnehm-Laubscher

Der Alpenrepublik ist etwas abhanden gekommen. „In der Schweiz gibt es keine Ritter und keine Königin, die jemanden adeln kann. Hier wurde man durch die Mitgliedschaft im Swissair-Verwaltungsrat geadelt“, sagt Michael Mölleney. Er war der letzte Personalchef der Swissair, und er musste 35 000 Angestellte entlassen, darunter auch sich selbst. Swissair, ehemals stolze Fluglinie des Landes, gibt es nicht mehr. Im Jahr 2001 war Swissair am Ende. Jetzt wird die spektakulärste Pleite der Schweiz in einem Gerichtsprozess aufgearbeitet.

Mölleney, der ehemalige Personalchef, ist einer der wenigen Beteiligten, der noch darüber redet. Er hat sich selber in einem Spielfilm über den Niedergang der Airline gespielt. „Das Grounding – die letzten Tage der Swissair“ war im vergangenen Jahr einer der größten Schweizer Erfolge an den Kinokassen. Grounding gilt seit 2001 als geflügelter Begriff für einen für unwahrscheinlich gehaltenen Untergang. Jetzt blicken die Schweizer gespannt nach Bülach, einem kleinen Ort nahe Zürich. Dort verhandelt das Bezirksgericht den Niedergang. Es geht um ein Trauma des Landes.

Insgesamt 19 ranghohe Persönlichkeiten aus dem Schweizer Wirtschafts- und Politik-Establishement sind angeklagt. Die meisten von ihnen haben sich in den vergangenen Jahren kaum öffentlich sehen lassen. Noch immer fürchten sie den Zorn der Bevölkerung. Der letzte Vorstandschef der Swissair, Mario Corti, zog in die USA, nachdem er in seinem Schweizer Wohnort mit dem Tode bedroht wurde. In Amerika betrauert er das Ende seiner Karriere. Niemand wolle einen strafrechtlich Angeklagten einstellen, sagte Corti kürzlich.

Wenn die Medien Corti und den anderen in den nächsten Wochen in Bülach auf den Fersen sind, geht es auch darum, die mutmaßlichen Totengräber der Swissair wieder einmal an den Pranger zu stellen. Denn die Bevölkerung rechnet nicht wirklich mit Verurteilungen, ganz zu schweigen von Entschädigung für die Milliarden Franken, die Anleger, Wirtschaft, Staat und Angestellte verloren haben.

Der Gedanke, dass eine Konzernführung ungestraft eine Firma wie die Swissair in den Ruin wirtschaften kann, bringt selbst Harmonie liebende Schweizer in Rage. Die Emotionalität, von der die ganze Nachgeschichte und Aufarbeitung geprägt ist, gäbe es bei einer durchschnittlichen Schweizer Firma nicht. Doch die Swissair galt als Vorzeigefirma des Landes. Sie überflügelte die anderen internationalen Airlines stets mit Auszeichnungen für ihre Qualität. Sie fütterte den Nationalstolz und verkörperte die Schweizer Superlative und Mythen der Nachkriegszeit: Swissair stand für das reichste Land der Welt, für Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit. Aber nachdem Ende der 90er-Jahre bereits an anderen Mythen des Landes heftig gerüttelt wurde, etwa durch das Gebaren der Schweizer Banken im zweiten Weltkrieg, wurde am 2. Oktober 2001 auch dieses Symbol erschüttert. An jenem Tag blieben alle Flugzeuge der Swissair am Boden, weil die Treibstoffrechnungen nicht beglichen wurden. Ein Vorgang, den Schweizer sonst nur von obskuren osteuropäischen und afrikanischen Fluglinien kannten.

Die Macher des Filmes „Grounding“ waren damit auf der sicheren Seite. Das Werk über den Niedergang der Swissair wollten am Startwochenende mehr Leute sehen als seinerzeit den Hollywood-Kassenschlager „Titanic“. Und das, obwohl Schweizer Filmproduktionen gemeinhin nicht als massentauglich gelten. Die These des Dokudramas lautet: Das Grounding hätte verhindert werden können. Schuld sei die Wirtschaft – allen voran der angeklagte Ex-Credit-Suisse-Chef und Ex-Swissair-Verwaltungsrat Lukas Mühlemann sowie UBS-Chef Marcel Ospel. Sie hätte sich nicht richtig für die Swissair eingesetzt.

Der junge Regisseur Michael Steiner formulierte eine pathetische Botschaft: „Es gibt überall eine Swissair, es gibt überall ein Flaggschiff der Wirtschaft, das die Leute lieben. In Deutschland zum Beispiel ist es die Autoindustrie. Ein Niedergang von VW und Porsche würde die Deutschen stärker treffen als sich die Wirtschaftskapitäne das vorstellen.“

Wie schwer der Job bei einem solch symbolbehafteten Unternehmen ist, musste Mario Corti erleben. Er kam wenige Monate vor dem 2. Oktober 2001 ins Amt. Zum Zeitpunkt seines Antritts war bereits klar, dass Swissair überschuldet ist. Durch zahlreiche Übernahmen hatte sich das Unternehmen verzettelt. Die belgische Sabena gehörte mit fast 50 Prozent ebenso zum Swissair-Reich wie ein großer Anteil am deutschen Ferienflieger LTU. Viele Beteiligungen waren Sanierungsfälle; Swissair blutete finanziell aus. Corti soll laut Anklage die Zahlungsunfähigkeit zu spät zugegeben haben.

Aber im Bewusstsein der Schweizer und auch nach Überzeugung der Staatsanwälte hat Cortis Vorgänger, Philipp Bruggisser, die Hauptschuld. Auf ihn konzentriert sich die Anklage. Bruggisser, äußerlich von eher unscheinbarer Anmutung, war derjenige, der die Expansionsstrategie der Swissair forcierte. Er hatte 1998 das Ruder der neu geschaffenen SAirGroup übernommen und steht nun wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung und Falschbeurkundung vor Gericht. Unter allen Anklagepunkten in diesem Prozess wird letzterer mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren Freiheitsentzug am härtesten bestraft.

Den Zorn der Öffentlichkeit rief aber auch das Aufsichtsgremium des Konzerns, der Verwaltungsrat, hervor. Im Film Grounding wird er marionettenartig und entscheidungsunfähig dargestellt. In dem Streifen segnen die Mitglieder Bruggissers Entscheidungen ab, ohne nachzufragen.

Es bestreitet heute kaum einer in der Schweiz, dass der Verwaltungsrat versagt hat. Das Gremium war ein elitärer Zirkel prominenter Politiker der FDP und von Wirtschaftsfreunden der Partei. Die FDP war die dominierende Partei der Schweiz, aber auch das hat sich mit der Swissair-Pleite geändert.

Zum ausgewählten Kreis gehörten unter anderem die Zürcher Ständerätin Vreny Spoerry, der ehemalige Zürcher Finanzdirektor und letzter Verwaltungsratspräsident des Konzerns, Eric Honegger, sowie der FDP-nahe Ex-Präsident des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse, Andres Leuenberger sowie der Zementunternehmer Thomas Schmidheiny. Ihnen wird Gläubigerschädigung und ungetreue Geschäftsführung angelastet.

Diese einstigen Stars des Schweizer Establishments trugen direkt dazu bei, dass die mächtige politische Vereinigung zu einer mittelgrossen Partei geschrumpft ist. Durch das Swissair-Debakel sind der FDP nicht nur reihenweise Spitzenkräfte abhanden gekommen. Fast über Nacht war es nicht mehr opportun, dass Politiker in den Verwaltungsräten von Großkonzernen sitzen. Schlimmer noch: Die FDP hat mit der milliardenschweren Finanzspritze für die Fluggesellschaft eine Staatsintervention mitgetragen, die sie aus ordnungspolitischen Gründen wohl besser abgelehnt hätte.

Vom Niedergang profitiert hat die rechte SVP von Christoph Blocher. Sie opponierte als einzige gegen die Bundesmittel für die Swissair-Nachfolgegesellschaft Swiss. Die SVPler äußerten öffentlich ihre Schadenfreude, als der Bund seine Swiss-Beteiligung 2005 an die Lufthansa verkaufte.

Die zusammengeschrumpfte Airline, die 2006 wieder Gewinn gemacht hat, will nichts mit dem Gerichtsprozess zu tun haben. „Der Swissair-Strafprozess richtet sich ausschließlich gegen Personen, die für Gesellschaften der ehemaligen SAirGroup tätig waren. Der Prozess wird keinerlei Auswirkungen auf die Swiss haben“, sagt Presssprecher Jean-Claude Donzel.

So ganz aus dem Schussfeld ist die Swiss aber nicht. Immerhin haben die öffentliche Hand und Schweizer Unternehmen 2,7 Mrd. Franken (1,7 Mrd. Euro) in die Airline gesteckt, damit sie wieder abheben kann. Ob die Swiss die damit verbundenen Auflagen – interkontinentale Anbindungen der Schweiz für die Wirtschaft sowie bestmögliche Arbeitsplatzerhaltung – erfüllt, ist umstritten. Von den einst 12 000 Swissair-Angestellten arbeitet heute noch die Hälfte bei Swiss.

Ob in Bülach, der Stadt, die Nationaldichter Gottfried Keller als Vorlage für seine Narren-Novelle „Die Leute von Seldwyla“ diente, der letzte Akt der Swissair-Story geschrieben wird, ist fraglich. Fest steht, der Prozess dauert voraussichtlich bis Anfang März. Bis die Urteile rechtskräftig werden, könnte es jedoch noch Jahre dauern. Überprüfungen durch höhere Instanzen halten die meisten für sicher. Ex-Personalschef Michael Mölleney, der sich wie viele Ex-Swissair-Angestellte ein neues Leben aufgebaut hat, bezeichnet das Grounding als eine gute Lehre für die Schweizer Wirtschaft, auch wenn sie höllisch viel gekostet habe. „Das Böse hat auch immer etwas Gutes.“


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cc

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