SonntagsBlick / Blick,

Roberta Cattaneo, Chefin SBB-Süd, kennt sich aus mit überfüllten Zügen «Auch ich sitze manchmal auf dem Boden»

Roberta Cattaneo: Musik im Bahnhof Bellinzona

Die Chefin von SBB Süd, Roberta Cattaneo, hat hohe Erwartungen an den Ceneri-Basistunnel. Das Tessin werde auf einen Schlag zusammenwachsen. Die Südbündnerin, die kein Blatt vor den Mund nimmt, weiss, wie sie sich bei Bähnlern Respekt verschaffen kann.

Die Bedeutung des Gotthardtunnels ist im Sitzungszimmer der Chefin von SBB-Süd, Roberta Cattaneo (52), direkt über dem Bahnhof Bellinzona unübersehbar. Fast erschlagend füllt das Gemälde mit Gotthardtunnel-Pionier Alfred Escher (61†) und zwei Bellenzern die ganze Wand.

Das Gemälde sei eigens für die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels 2016 geschaffen worden, sagt die Südbündnerin, als BLICK sie darauf ansprach. Heute Donnerstag steht sie bei einem Informationsanlass mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga (59) erstmals im zweiten Haupttunnel der neuen Nord-Südachse: dem Ceneri-Basistunnel.

Bahn im Blut

Für die Tessiner bringt der Ceneri-Tunnel zwischen Bellinzona und Lugano nächstes Jahr eine Zeitwende. «Diese schnelle Verbindung ist für den Kanton so einschneidend wie die 58-Minuten-Verbindung Zürich–Bern, die die Bahn 2000 brachte», erklärt Cattaneo in einem sympathischen Mischmasch aus Deutsch und Schweizerdeutsch.

Die Bahn hat die studierte Betriebswissenschaftlerin mit MBA, die vor ihrem heutigen Amt lange in der Deutschschweiz arbeitete, quasi im Blut. Ihr Vater aus dem Südbündner Dorf Roveredo war Lokführer. Seiner Tochter schenkte er früh eine Märklin-Modelleisenbahn und eine rote Bahnmütze mit Winkerkelle. «Ich habe schon mit drei Jahren Bahnhofvorstand gespielt», erzählt sie.

Hat sie die Männerdomäne Bahn nicht abgeschreckt? «Nein, ich gehe davon aus, dass die Männer von mir abgeschreckt werden», sagt sie halb im Scherz. Sie habe auch nie Hindernisse erlebt als eine von wenigen Frauen in Führungspositionen – auch weil sie es immer mit starken Frauen zu tun gehabt habe. Damit meine sie beispielsweise Ex-Bundesrätin Doris Leuthard (56). Mit ihr arbeitete Cattaneo in ihrem letzten Job als Vize-Direktorin des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) zusammen.

Ihre Direktheit verschafft ihr Respekt

Die SBB-Managerin erlebt, dass ihr die sehr direkte Art zu sprechen und zu sagen, was sie denke, bei Männern Respekt verschaffe. Man nimmt es ihr ab. Wären die drei Herren auf dem Büro-Gemälde anwesend, sässen sie schon lange nicht mehr in gemütlicher Pose. Mit Cattaneos Sprechtempo und Temperament müssten sie deutlich alarmierter wirken.

Ruhe findet die Umtriebige zu Hause im Calancatal GR, wo sie mit ihrem Mann und zwei Katzen – Rasse Main Coon – wohnt. Aber zu viel Ruhe kann sie offenbar nicht brauchen. Sie war zwölf Jahre lang Bündner Vize-Grossrätin, zuerst für die FDP, dann für die SVP.

Zurück nach Bellinzona, dem Tor des Südens: Hier hat Cattaneo nicht ihr erstes Büro bei den SBB. Sie war bereits Betriebsdisponentin und Vorstand verschiedener Bahnhöfe im Tessin. Dann, vor 19 Jahren, wechselte sie zur Swisscom, arbeitete darauf für das Bundesamt für Kultur und für SRG-RSI Tessin.

Sie leidet mit den Passagieren mit

Wieso war sie immer bei staatsnahen Betrieben angestellt? «Ich verstehe mich als Public Servant», antwortet sie. Als Dienerin der Öffentlichkeit habe sie als Teil einer Minderheit Vorteile. «In der Bundesverwaltung braucht es viele Leute, die eine Minderheit vertreten, sonst gäbe es nur die Sicht der Deutschschweizer», führt sie aus.

In der Deutschschweiz sind Verspätungen der SBB, überfüllte und überhitzte Züge derzeit ein Dauerthema. Ist das südlich des Gotthards auch so? «Ja, auch die Tessiner Kunden sind sich bei der SBB eine gewisse Qualität gewohnt, und es geht ihnen gleich, wenn sie fehlt», sagt sie.

Die Folge der Probleme mit dem Rollmaterial in der Deutschschweiz habe das Tessin deutlich gespürt. «Wir Bähnler leiden, wenn wir sehen, dass unsere Kunden unter diesen Umständen leiden», betont sie.

Platz-Reservation ist nicht ihr Ding

Haben sich die Tessiner schon daran gewöhnt, dass sie auf der Gotthard-Achse reservieren müssen, wenn sie einen Platz garantiert haben wollen? Nein, auch im Süden sei das ein Lernprozess, weiss Cattaneo. Sie selber würde nie reservieren, sie vergesse das immer.

Notfalls sitze sie dann in den Zwischenräumen oder auf dem Boden. Das sei gar nicht so unbequem. «Aber mit dem Ausbau und dem neuen Zügen sollten in Zukunft alle Leute Platz haben», erwartet sie.

https://www.blick.ch/news/wirtschaft/roberta-cattaneo-52-chefin-sbb-sued-kennt-sich-aus-mit-ueberfuellten-zuegen-auch-ich-sitze-manchmal-auf-dem-boden-id15488367.html

https://www.blick.ch/news/wirtschaft/chefin-sbb-sued-deshalb-ist-der-ceneri-tunnel-fuers-tessin-so-wichtig-id15488242.html

————

Verkehrsministerin Sommaruga auf dem Bauplatz beim Tunnelnordportal in Camorino TI.

Die ersten Passagiere rollen regulär am 13. Dezember 2020 durch den Ceneri-Basistunnel. Die Fahrzeit zwischen Zürich und Lugano TI verkürzt sich dank der Neuen Alpentransversale (Neat) auf weniger als zwei Stunden.

Zuvor gibt es noch einige Hürde zu nehmen und auch Feste zu feiern. Ab diesem Wochenende werden erstmals nach der Fertigstellung alle Anlagen in einem Gesamtintegrationstest geprüft.

Der Testbetrieb mit Zügen startet am 1. März 2020. Exakt in einem Jahr übergibt die Bauherrin, die Alptransit Gotthard AG, die Verantwortung über die Neat-Linie den SBB. Diese starte dann den Probebetrieb mit kommerziellen Zügen.

Für die offizielle Eröffnung ist ein grosses Volksfest geplant. Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga (59) informiert heute ab 10.30 Uhr auf dem Bauplatz beim Tunnelnordportal in Camorino TI über die Festlichkeiten und verkehrspolitischen Prioritäten der Schweiz.


Diese Artikel könnten ebenfalls interessant sein:

An der Nadel des Auslands

SonntagsZeitung

Schweiz verliert wegen Novartis-Verkäufen Kontrolle über Impfstoffe

weiterlesen

Bundesgerichtsurteil gegen die UBS: Ärger für Kunden, Arbeit für Banken

SonntagsBlick / Blick

Die UBS muss rund 40’000 Kundendaten an Frankreich ausliefern. Das Urteil des Bundesgerichts ist eine Ohrfeige für die UBS und wird auch andere Banken über Jahre auf Trab halten. Richtig erleichtert ist nur der Mann, der die UBS-Kundenlisten Frankreich übergeben hatte.

weiterlesen