Raiffeisen-Chef Heinz Huber erstaunt, wie viel die Schweizer trotz der Pandemie ins Wohnen investieren. Er erklärt im BLICK-Interview, wieso er nächstes Jahr keine Konkurswelle erwartet und wo Raiffeisen 2021 Jobs schaffen will.
Raiffeisen-Chef Heinz Huber (56) hat sich in seinem zweiten Amtsjahr krisenfest gezeigt. Derzeit sieht er keine Anzeichen, dass die zweite Corona-Welle die Kreditausfälle erhöht. Der Banken-Gruppe, bei der jedes dritte Schweizer KMU Kunde ist, hat von 24’000 vergebenen Covid-Krediten schon 1000 zurückerhalten. Der Ostschweizer spricht mit BLICK aus dem Homeoffice.
BLICK: Sie rechneten nach der ersten Welle mit einem starken Wirtschaftseinbruch, dann sah alles besser aus, bis die zweite Welle kam. Wie sehen Sie es jetzt?
Heinz Huber: Gefühlsmässig geht es auf und ab. Nach dem Lockdown, wo alles dicht war, kam eine Erholungsphase im Sommer. Das dritte Quartal war gut. Im vierten Quartal bremsen die Einschränkungen die Wirtschaft wieder. Aber vielleicht fällt der Rückgang nicht ganz so heftig aus, weil die Schweiz nicht alles dichtmacht – zumindest Stand heute. Ich bin vorsichtig optimistisch.
Auch fürs nächste Jahr?
Zuversichtlich stimmt mich, dass die Impfstoffe unterwegs sind. Wenn die Impfstoffe kommen, dann geht auch in den Köpfen der Aufschwung wieder los.
Lassen Sie sich impfen?
Ja, selbstverständlich werde ich mich impfen lassen.
Normalerweise können sich Mitarbeiter im Dezember über Weihnachtsfeste freuen. Gibt es dieses Jahr bei Raiffeisen nichts?
Die Weihnachtsfeste und -essen haben wir alle abgesagt. Die Gesundheit unserer Mitarbeitenden hat erste Priorität. Anstelle von Weihnachtsfeiern spendet Raiffeisen Schweiz den Betrag an die Glückskette und unterstützt damit Menschen in der Schweiz, die durch die Corona-Krise in eine Notlage geraten sind.
Gibt es wenigstens Gratifikationen?
Für 2020 wird eine variable Vergütung ausbezahlt, allerdings das letzte Mal. Raiffeisen Schweiz hat in diesem Jahr entschieden individuelle Bonuszahlungen per 1. Januar 2021 abzuschaffen. Danach gibt es eine kollektive Erfolgsbeteiligung. Diese wird sich für den einzelnen Mitarbeitenden – gemessen an seiner Grundvergütung – im einstelligen Prozentbereich bewegen. Damit rücken wir die Leistung der Mannschaft in den Vordergrund. Die Gesamtvergütung soll grundsätzlich auf dem gleichen Niveau bleiben.
Haben Sie auch genug von Corona?
Es war ein intensives Jahr. Wir waren stark involviert mit der Erarbeitung und Vergabe von Covid-Krediten. Wir mussten intern den Betrieb sicherstellen, wir sind ja systemrelevant. Jetzt hoffe ich, dass sich die Situation 2021 normalisiert.
Raiffeisen hat innerhalb des Covid-Kreditprogramms über 24’000 Kredite im Wert von 1,9 Milliarden Franken vergeben. Wie sieht es mit den Rückzahlungen aus?
Erste Kredite wurden bereits zurückbezahlt, etwas mehr aus 1000. Wir haben mit den Kunden individuell von Anfang an abgemacht, in welchen Raten sie zurückzahlen. Das gibt für beide Seiten Planungssicherheit.
Hat die zweite Corona-Welle die Kreditausfälle erhöht?
Nein, da haben wir nichts gemerkt. Als wir die Kredite auszahlten, haben wir die ersten Amortisationsraten auch nicht für nach drei Monaten vereinbart. Die Unternehmen brauchen etwas Zeit und Atem.
Rechnen Sie mit einer Konkurswelle bei den KMU, die bisher dank den Kredithilfen verhindert werden konnte?
Im Moment haben wir keine Indizien dafür, dass eine Konkurswelle kommt. Ich rechne auch nicht damit, dass es eine Welle gibt. Wenn, dann kommen die Konkurse zeitverzögert, in 12, 24, 36 Monaten. Noch stellen die Covid-Kredite die Liquidität sicher. Auch die Kurzarbeit federt vieles ab.
Alles nicht so schlimm?
Das würde ich so nicht sagen. Es wird ein schleichender Prozess sein. Dieses Jahr werden wir keine grösseren Konkurse sehen. Aber einzelne KMU machen sich jetzt in der zweiten Welle Gedanken, ob sie je wieder auf den Umsatz von vor der Krise kommen und ob sie an der Kostenbasis etwas ändern sollten. Einige werden Entlassungen aussprechen. Diese Massnahmen, so hart sie sein können, sichern den Betrieb für die kommende Zeit.
Welche Branchen wird es treffen?
Im Bereich Events ist es ganz schwierig. Im Tourismus muss man sehr differenziert schauen, ob ein Stadthotel betroffen ist, das auf ausländische Kundschaft ausgerichtet ist, oder ein Alpenhotel, wo auf Familienferien gesetzt wird. Auf der anderen Seite gibt es auch Branchen, die zu den Gewinnern gehören. Velos laufen zum Beispiel sehr gut. Auch Investitionen ins Eigenheim steigen. Etliche Berufsgruppen machen trotz Pandemie mehr Umsatz.
Sind die Covid-Kredite ein gutes Geschäft?
Covid-Kredite sind per se kein Geschäft. Im Vordergrund stand die unkomplizierte, rasche Hilfe für KMU. Damit verdient man kein Geld. Wir haben auch nie darauf geschaut, ob wir Geld verdienen oder nicht. Wir wollten einen Beitrag leisten und unsere Verantwortung wahrnehmen. Jedes dritte Schweizer KMU ist bei uns Kunde.
Sind die Kunden bei den Hypotheken auf die Bremse gestanden?
Nein, das hat uns auch verwundert. Der Wunsch nach Wohneigentum blieb auch in der Pandemie ungebrochen. Viele überdachten ihre Wohnsituation. Die Nachfrage nach mehr Wohnfläche hat zugenommen. Sehr begehrt sind etwa freistehende Einfamilienhäuser mit grossem Umschwung.
Was heisst das für die Preise?
Wohneigentum ist nicht günstiger, sondern teurer geworden.
Sehen Sie regionale Unterschiede bei der Nachfrage?
Nein, die Nachfrage ist schweizweit stark.
Haben die Leute vor allem in Erstwohnungen investiert oder auch in Ferienwohnungen?
Im Fokus standen Erstwohnungen. Doch durch die Pandemie haben auch Zweitwohnungen Auftrieb gekriegt. Man kann nicht mehr reisen und ins Ausland. Homeoffice erlaubt flexible Arbeitsorte – deshalb sind ländliche Gegenden oder Bergregionen gesucht.
Wo wird denn ins bestehende Eigenheim investiert?
Viel Geld geht in Renovationen und Erneuerungen. Auch der Garten ist wichtig. Er ist eine Art vergrössertes Wohnzimmer geworden.
Wieso hört man nichts mehr zu Negativzinsen – sind die nicht mehr so belastend für Banken?
Die Zinssituation ist immer noch sehr schwierig. Das Thema Corona hat vieles überlagert. Wir empfehlen unseren Banken nach wie vor, bei Privatkunden keine Negativzinsen zu verrechnen, weil das volkswirtschaftlich sehr schädlich wäre. Gleichzeitig können wir das auch nicht auf ewig ausschliessen. Wir müssen beobachten, wie sich der Markt entwickelt und andere Marktteilnehmer sich verhalten.
Flüchten die Kunden vor Negativzinsen zu Raiffeisen?
Wir vermuten, dass bestehende Kunden mit Konten bei anderen Marktteilnehmenden, die ab gewissen Schwellen Negativzinsen einführten, zu uns gekommen sind. Wir haben damit gerechnet, dass unsere Kunden mit einer Zweitbank Geld verlagern. Das ist okay. Aber bei Neukunden schauen wir schon hin, ob sie nur umlagern wollen. Das ist nicht in unserem Sinn.
Im Immobiliengeschäft ist Raiffeisen im ersten Halbjahr mit dem Gesamtmarkt gewachsen, die Hypothekarforderungen nahmen um 1,2 Prozent zu. Gab es im zweiten Semester eine grösseres Marktwachstum?
Das Marktwachstum blieb stabil. Wir rechnen damit, dass wir bis Ende Jahr ungefähr mit dem Markt wachsen werden.
Wo wird die Raiffeisen-Gruppe das nächste Jahr Jobs schaffen?
Bei der neuen Wohneigentümerplattform mit der Mobiliar, die Mitte 2021 startet, gibt es neue Jobs. Ausserdem investieren wir entlang der Gruppenstrategie in die Stärken, die Nähe, aber natürlich auch in die Digitalisierung. Wir brauchen nächstes Jahr neue Fachkräfte und werden deshalb Jobs schaffen.
Stifti bei der UBS
Heinz Huber (56) katapultierte es Anfang 2019 ins Rampenlicht, als er vom gestrauchelten Patrik Gisel (58) die Raiffeisen-Führung übernahm. Zuvor war er fünf Jahre Geschäftsleiter der Thurgauer Kantonalbank. Der verheiratete Vater von drei Kindern absolvierte bei der UBS eine Banklehre und hat zwei Master of Business Administration in der Tasche. Bei der Grossbank Credit Suisse arbeitete er in Stabs- und Führungspositionen. Huber ist bekannt für seine umgängliche Art und dass er im Gegensatz zu seinem Vorgänger (Gisel war Triathlet und Pilot) alles mit Mass betreibt – auch Sport.
Wo profitiert Raiffeisen vom Austritt aus der Bankiervereinigung?
Wir sind eine inlandorientierte Bank und können so unsere Interessen und die unserer Kunden vertreten, unsere Meinung sichtbar machen und auch gehört werden.
Der Vorschlag der Postfinance, die Kredit- und Hypothekenvergabe zu ermöglichen, fand keine Unterstützung. Erwarten Sie nächstes Jahr Ruhe bei dem Thema?
Wir haben von Anfang an gesagt, wir haben genug Wettbewerb im Schweizer Kredit- und Hypothekarmarkt. Es braucht keinen zusätzlichen staatlichen Anbieter. Der Kunde hat eine gute Auswahl. Ich glaube, die Politik folgt nun auch diesen Argumenten.
Haben Sie im Verfahren gegen Ex-Chef Pierin Vincenz schon Regressforderungen gestellt?
Wir sind Geschädigte in diesem Verfahren. Das heisst, wir sind in diesem Strafverfahren Privatklägerin. Wenn wir Ansprüche stellen können, die aus einem Fehlverhalten resultieren, dann werden wir diese auch geltend machen.
Wie reagierten die Raiffeisen-Mitarbeiter, als letzten Monat Vincenz‘ Stripclub-Besuche auf Spesen bekannt geworden sind?
Es ist ein laufendes Verfahren, da können wir uns nicht dazu äussern.
Wie geht es weiter mit Homeoffice, wenn die Pandemie vorbei ist?
Wir beschlossen schon im Sommer, dass wir nach Corona nicht weitermachen wie zuvor. Deshalb haben wir Anfang August eine flexible Arbeitsregelung eingeführt. Bei Raiffeisen Flexwork können Mitarbeitende bis zu 80 Prozent der Jahresarbeitszeit in Absprache mit dem Vorgesetzten im Homeoffice oder an einem beliebigen Standort arbeiten. Mit unserem Kader haben wir auch angeschaut, dass man auf Distanz anders führen muss und wie die Gesundheit der Mitarbeiter gefördert werden kann.
Werden Sie auch im Homeoffice arbeiten?
Ja, auch ich werde regelmässig im Homeoffice sein.