Investitionsschutzabkommen stehen zunehmend in der Kritik, von Multis missbraucht zu werden
Claudia Gnehm
Bern Uruguay hat das Investitionsschutzabkommen (ISA) mit der Schweiz nicht verletzt. Das wird morgen hinter verschlossenen Türen Uruguays Anwalt, Paul Reichle, dem Investment-Schiedsgericht der Weltbank in Washington D.C. erklären. Der Tabakmulti Philip Morris mit Sitz in Lausanne macht seit der staatlichen Einschränkung des Tabakkonsums in Uruguay eine indirekte Enteignung geltend und verlangt 25 Millionen Dollar Schadenersatz. Aus Sicht Uruguays sowie der Antitabakorganisationen ging es Philip Morris gar nie um den Schutz seiner Investitionen. Vielmehr missbrauche der Konzern das Abkommen, um eigene Interessen zu wahren – und andere Länder von mehr Raucherschutz abzuschrecken.
Bundesbern hält einen Missbrauch für unwahrscheinlich. Isabel Herkommer, Sprecherin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), sagt, staatliche Regulierungen in sensiblen Bereichen wie Umweltschutz, Arbeitnehmerschutz und Gesundheit würden durch ISA nicht grundsätzlich eingeschränkt.
Trotz offizieller Beschwichtigung: Die Furcht, dass die Abkommen nationales Recht aushebeln, ist weit verbreitet. Deshalb verlangte die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz kürzlich in einem Brief an den Wirtschaftsminister, er solle im Streit zwischen Philip Morris und Uruguay mit einer diplomatischen Note richtigstellen, dass die Volksgesundheit Vorrang hat gegenüber dem Schutz von Schweizer Investitionen. Das Wirtschaftsdepartement teilte bloss mit, es könne hier nicht intervenieren.
Nach den Nationalisierungen etlicher internationaler Firmen werden die südamerikanischen Staaten mit einer Klagewelle überrollt. Anfang Monat entschied die Investorstreit-Schiedsstelle (ICSID) in Washington, Venezuela müsse den Ölmulti Exxon mit 1,6 Milliarden Dollar für verstaatlichte Ölprojekte entschädigen. Eine Kompensation von 650 Millionen Dollar erzielte der Zementhersteller Holcim 2010, weil Venezuela seine Produktionsanlagen verstaatlichte. Vor zwei Jahren verurteilte das Schiedsgericht Paraguay zur Zahlung von 39 Millionen Dollar an den Genfer Warenprüfkonzern SGS – weil es Zolldienste von SGS nicht bezahlt hat. Auch Mazedonien und die Tschechische Republik mussten zweistellige Millionensummen an Schweizer Firmen überweisen.
Schwellenländer kündigen vermehrt die Abkommen auf
Entwicklungsorganisationen und zunehmend Schwellenländer sind gegen solche Abkommen. In ihren Augen instrumentalisieren die Multis diese, um über nationale Gesetze hinweg ihre Interessen durchzusetzen. Die mangelnde Transparenz der abschliessend urteilenden Schiedsgerichte kritisiert auch der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Geschäftsleitungsmitglied Thomas Pletscher fordert zudem, es müsse klarer definiert werden, was indirekte Enteignung bedeutet. «Staaten sollen neue Regulierungen einführen können – allerdings dürfen sie die ausländischen Investoren nicht benachteiligen.» Zu Verbandsmitglied Philip Morris wollte er nichts sagen.
Wegen dieses Unbehagens setzte der Bund vor zwei Jahren eine Arbeitsgruppe ein. Sie sollte dafür sorgen, dass künftige Schutzabkommen die Umwelt-, Gesundheits- und Sozialpolitik der Partnerländer nicht untergraben. Weil der Bundesrat nie konkret über die Resultate informiert hat, forderte Anita Fetz letzten Monat in einer Interpellation eine Offenlegung. Die Antwort steht aus.
Obwohl westliche Regierungen unter dem Druck die Abkommen sozial- und umweltverträglicher machten, kündigen Schwellenländer vermehrt die ISA auf. Stein des Anstosses sind nicht nur die Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit, sondern auch die beliebige Zusammensetzung des Schiedsgerichts. Südafrika hat seinen Investitionsvertrag mit der Schweiz per Ende Oktober gekündigt. Ausgesetzt hat Indonesien einen Vertrag mit Holland und will das mit anderen europäischen Staaten tun. Auffällig häufig steigen derzeit Länder aus, die viele Prozesse gegen Konzerne verloren haben – so Ecuador, Venezuela und Bolivien.
Glencore droht – Dominikaner protestieren gegen Mine
Im Fokus der Weltöffentlichkeit steht nicht nur das Schweizer Investitionsabkommen mit Uruguay, sondern auch jenes mit der Dominikanischen Republik. Letzte Woche demonstrierten auf der Karibikinsel und in New York Tausende Dominikaner gegen die Minenausbaupläne der Glencore-Tochter Falcondo. Ende August erklärte das dominikanische Parlament das ökologisch wertvolle Gelände im Zentralgebirge der Insel zum Naturschutzgebiet. In der dortigen Loma-Miranda-Mine will Glencore-Tochter Falcondo ihre Eisennickelförderung ausdehnen. Falcondos bisherige Umweltimpaktstudien lehnte die UNO als unvollständig ab.
Kaum war der Naturpark offizialisiert, nahmen die Drohungen der Lobbysten von Glencore gegenüber der dominikanischen Regierung zu: Falls sie die Glencore-Expansion verbiete, müsse das Land unter dem Investitionsschutzabkommen mit der Schweiz 4 Milliarden Dollar Schadenersatz zahlen. Die Drohungen, die Glencore bestreitet, zeigten Wirkung. Präsident Danilo Medina hatte wenige Tage später sein Veto gegen den Naturpark eingereicht.
Für die NGO-Erklärung von Bern (EvB) ist der Fall exemplarisch. Ihr Sprecher Oliver Classen sagt: «Die blosse Existenz des Investitionsschutzabkommens, verstärkt durch Glencores Drohgebärden, zeigt exemplarisch den skandalösen Abschreckungseffekt dieses wirtschaftspolitischen Machtinstruments.»
Nicht nur die Multis profitierten von den ISA, betont Economiesuisse-Experte Pletscher. Von den Abkommen begünstigt würden letztlich Pensionskassen, der AHV-Fonds und andere öffentliche Investoren, welche die Altersvorsorge der Bürger sicherstellten und auf stabile Investitionen angewiesen seien. Natürlich wollten die Bürger, dass ihre Gelder sicher angelegt seien, sagt EVB-Sprecher Classen. Weiter: «Dass dies mittels ISA zunehmend auf Kosten von Menschen anderer Länder geschieht, ist aber illegitim und bei Herrn und Frau Schweizer sicher nicht mehrheitsfähig.»