Damit Angestellte im Job mental nicht krank werden, braucht es laut Personalexperte Matthias Mölleney Wertschätzung und Rückhalt im Team. Das Homeoffice mache psychisch krank, wenn Vorgesetzte weiter mit Anweisung und Kontrolle führten, statt mehr zu vertrauen.
Unternehmen vor dem Untergang, Mitarbeitende im Dauerstress. Solche Extremsituationen kennt Personalchef und Berater Matthias Mölleney (60) à fonds. Unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Krise brauchten Mitarbeiter, denen es schlecht geht, dringend ein Klima der Sicherheit, stellt er im Gespräch sofort klar. Leider seien viele Führungskräfte gar nicht geschult darin, in einem virtuellen Umfeld, wie es Corona jetzt fordert, zu führen.
BLICK: Herr Mölleney, das Corona-Jahr hat viele Angestellte ausgepowert, ihre Stimmung ist am Tiefpunkt. Kommen auch Sie manchmal an den Anschlag?
Matthias Mölleney: Natürlich, auch mich belastet die Corona-Situation. Nur wenige blühen auf und finden, 100 Prozent Homeoffice ist ihr Ding, obwohl ihnen die Pandemie auch auf den Wecker geht. Trotz Widrigkeiten haben wir aber einen Riesensprung vorwärts gemacht beim Umgang mit digitaler Arbeit, dem bewussteren Planen und Einteilen.
Was müssen Vorgesetzte machen, damit Mitarbeiter psychisch gesund bleiben?
Am wichtigsten ist, dass sie sich bewusst machen, in welcher Situation sich die Mitarbeiter befinden. Unter normalen Umständen kann ein Teamleiter seine Anliegen bei den Mitarbeitenden einfach platzieren, weil er sie sowieso irgendwo trifft. Aber jetzt muss er den Austausch mit jedem einzelnen bewusst planen. Und das tun viele leider nicht.
Vorgesetzte müssen bewusster planen. Was braucht es noch?
Wir sehen jetzt, wie sich ein bereits bestehendes Problem verschärft. In den Büros gibt es immer Gruppen von Mitarbeitern, die sich mögen und sich viel austauschen – innere Kreise – und andere Mitarbeiter, die sich im äusseren Kreis befinden. Letztere geraten im virtuellen Umfeld noch mehr an den Rand. Deshalb müssen die Beziehungen in der Homeoffice-Situation mehr auf Vertrauen statt auf Sympathie beruhen.
Wie kriegt man das hin?
Die meisten Menschen sagen, ich kann nur jemandem vertrauen, den ich mag. Das ist im privaten Bereich okay, aber in der virtuellen Arbeitswelt kann unser Vertrauen nicht nur auf Sympathie beruhen. Denn sonst verschärft sich die Kluft: Online tauschen sich nur diejenigen aus, die sich sowieso sympathisch sind. Und die anderen werden noch mehr ausgegrenzt.
Die Schattenseiten des Homeoffice …
… es gibt mehr Vereinzelung. Niemand interessiert sich für jene am Rand. Diese denken sich, es kommt nicht darauf an, ob ich da bin oder nicht. Das wiederum schlägt auf die Stimmung im ganzen Team. Die Ausgegrenzten verbreiten in Online-Meetings schlechte Stimmung. Das gibt eine Spirale, die sich nach unten dreht.
Kann das Homeoffice die psychische Gesundheit gefährden?
Wenn man so weitermacht wie üblich, kann das die psychische Gesundheit gefährden.
Wie kann die Ausgrenzung verhindert werden?
Wir müssen Vertrauen neu auf Kennen basieren. Ich muss bereit sein, jemandem zu vertrauen, wenn ich sie oder ihn gut kenne. Ich muss den Kollegen gar nicht mögen, aber wenn ich ihn kenne, dann weiss ich, wie er tickt, wie es ihm geht und welche Probleme er gerade hat. Dieses Kennenlernen müssen wir fördern.
Wie macht man das am besten?
Wir müssen Rituale und Tools einführen, wie man sich besser kennenlernt, um darauf das Vertrauen aufzubauen. Kennen ist eine bilaterale Geschichte.
Glauben Sie, dass man im hektischen Alltag überhaupt Zeit hat fürs Kennenlernen?
Es braucht nur wenige Minuten. Wir empfehlen eine einfache Grundübung aus dem Programm Beyond Leadership.
Grundübung für Vertrauen durch Kennen
Eine beliebig grosse Gruppe wird nach dem Zufallsprinzip in Zweierteams aufgeteilt (virtuell oder physisch). Jede Gruppe muss zwei Fragen beantworten: Wer bin ich? Und warum bin ich hier? Das muss jeder dem anderen innert zwei Minuten erklären. Also, was mir wichtig ist, wo mein Herzblut liegt und wofür ich mich engagiere. Der Zuhörende darf den anderen nicht unterbrechen. Danach hat der Zuhörer eine Minute Zeit, dem anderen positives, wertschätzendes Feedback zu geben. Dann wechselt das. In diesen wenigen Minuten entsteht Vertrauen und eine Verbindung zwischen diesen zwei Personen, unabhängig von Sympathie. Es empfiehlt sich, diese Übung regelmässig durchzuführen.
Solche Methoden wenden doch nur Firmen an, die sehr fortgeschritten sind?
Nein, das machen wir mit ganz unterschiedlichen Firmen sehr erfolgreich seit vier Jahren. Aber es gibt selbstverständlich auch andere Methoden.
Was raten Sie Angestellten, denen die Decke auf den Kopf fällt?
Der Vorgesetzte müsste das zuerst mal wahrnehmen. Es braucht ein Umfeld, wo die Mitarbeiter ihre Sorgen zuerst einmal äussern können. Wenn man die Mitarbeiter mit hängenden Schultern im Büro sieht, dann ist klar, dass man mal fragen sollte, wie es geht. Im Homeoffice funktioniert das nicht von selber. Man sollte jede Woche mit jedem Mitarbeiter mindestens eine halbe Stunde sprechen und sich ein Bild von seiner Situation machen.
Und wenn klar ist, dass etwas nicht stimmt?
Erst, wenn ich weiss, wieso jemandem die Decke auf den Kopf fällt, kann ich helfen. Wenn die Arbeitsbedingungen zu Hause zu schaffen machen, kann man Co-Working-Space vorschlagen und mitbezahlen. Leider wissen viele Vorgesetzte gar nicht, wie es den Angestellten geht.
Können Unternehmen in Krisensituationen ihre Fürsorgepflicht gegenüber dem Mitarbeitenden überhaupt erfüllen?
Die Umstände machen es schwierig. Es ist auch nicht so klar definiert, wie weit die Fürsorgepflicht geht. Zudem sind viele Führungskräfte gar nicht geschult darin, in einem virtuellen Umfeld zu führen.
Wie zeigt sich das?
Vielerorts funktioniert die Führung immer noch nach dem Muster Anweisung und Kontrolle. Das ist online sehr schwierig. Leider gehen viele deswegen dazu über, das Personal im Homeoffice aus der Ferne zu kontrollieren und überwachen, statt die Art ihrer Führung mehr auf Vertrauen zu basieren.
Was kann der Arbeitnehmer, wenn er wegen der Arbeit latent gestresst ist, überhaupt vom Arbeitgeber erwarten?
Das Wichtigste ist ein Klima der Offenheit, dass ich mich ermutigt fühle, etwas zu sagen. Wem man sagt, er solle sich nicht so anstellen, weil die anderen in derselben Situation seien, wagt niemand etwas zu sagen. Damit sich die Mitarbeitenden ermutigt fühlen, braucht es eine Kultur der hohen psychologischen Sicherheit.
Wie beurteilen Sie die Sicherheitskultur von Firmen, die Mitarbeiter anbieten, dass sie bei Problemen gratis eine externe Beratung aufsuchen können?
Das bringt vielleicht ein paar wenigen etwas. Aber wenn das als einzige Lösung kommuniziert wird, kommt das so rüber, als ob diejenigen, die das Angebot annehmen, zu schwach sind für die Welt. Das folgt etwa dem Motto: «Bevor jemand in Depression fällt, haben wir noch eine Reparaturwerkstatt». Wer will denn schon in eine Reparaturwerkstatt?
Finden Sie es problematisch, wenn die psychische Gesundheit extern delegiert wird?
Nein, es macht keinen Unterschied, ob intern oder extern an eine «Reparaturstelle» verwiesen wird. Niemand will ein Problem sein. Wer eine Anlaufstelle braucht, hat oft das Gefühl, er müsse sich eingestehen, dass er der Situation nicht gewachsen ist.
Was wäre der bessere Weg?
Der beste Weg geht über gutes Verhalten der Vorgesetzten und der Kollegen, mit denen man Probleme besprechen kann. Wir müssen einen Zustand hinkriegen, in dem man sich traut zu sagen, wie es einem geht, und dass das respektiert wird. Nur in einem solchen Arbeitsklima kann eine Krise, wie wir sie derzeit haben, bewältigt werden.
Der Arbeitgeber ist nicht zuständig für alle Probleme der Mitarbeiter, aber Sie finden, er muss einen Weg aufzeigen, wie ihm geholfen werden kann?
Ein gut funktionierendes Team, wo die Mitarbeiter einen guten Austausch haben, löst die Probleme selbst. Die brauchen keine Personalabteilung oder Beratung, weil sie miteinander reden und wissen, wie es den anderen geht, und sie sich füreinander interessieren, weil sie ja weiter zusammenarbeiten wollen.
Damit ist das Problem noch nicht gelöst.
Nein. Aber, wenn ich es hinkriege, dass sie anfangen, sich füreinander ohne erzwungene Sympathie zu interessieren, einfach aus echtem Interesse, dann habe ich einen ganz anderen Level. So kann das Team gemeinsam das Problem angehen, und wenn es zum Schluss kommt, jemand von ihnen braucht externe Beratung, kann und wird es die holen.
Ein Ende der Corona-Situation ist nicht absehbar. Welche Perspektive müssen die Arbeitgeber ihren Leuten geben?
Wenn man vage Perspektiven bietet, kann es schon falsch sein. Wichtig sind berechenbare Ansagen: Wenn sich die Lage so und so entwickelt, dann können wir bestimmte Dinge wieder machen.
Richtige Anreize tönen anders.
Die Leute merken, dass Versprechen nicht eingelöst werden können. Auch wer brav die Corona-Regeln eingehalten hat, wird dieses Jahr nicht mit einem schönen Weihnachtsfest belohnt wie üblich. Wichtig wäre, dass man das Positive wertschätzt und betont. Doch wer sich an die Regeln hält und mitträgt, dass das Virus zurückgedrängt wird, der kriegt meistens keinen Beifall und Wertschätzung.
Welchen Unterschied macht Wertschätzung?
Aufmerksamkeit, auch von den Medien, kriegen vor allem die, die gegen die Corona-Massnahmen sind und protestieren. Und irgendwann frage ich mich, wozu soll ich mich an die Regeln halten, das Homeoffice etc. auf mich nehmen, wenn die Protestierer viel mehr Aufmerksamkeit erhalten. Da muss man umdenken und viel mehr Wertschätzung für positives Verhalten geben. Dann hält man auch länger durch.