Solar-Pionier Bertrand Piccard im grossen Interview zum Start des Umweltgipfels in Rio
Interview: Claudia Gnehm
Herr Piccard, am Mittwoch beginnt der Umweltgipfel Rio+20. Wieso sind Sie nicht dabei?
Bertrand Piccard: Die Konferenz fällt leider zeitlich mit unserer Flugmission in Marokko zusammen. Das ist besonders bedauerlich, da mir die Vereinten Nationen eben erst den «Champion of the Earth»-Award verliehen haben.
Wann schafft Solar Impulse den Sprung über den Atlantik?
2014, mit dem zweiten Flugzeug. Das ist eine besonders wichtige Etappe der Weltumrundung.
Wenn es 2032 einen Rio+40-Gipfel gibt: Wird die Schweizer Delegation per Solarflugzeug anreisen?
Ich hoffe sehr, dass man schon viel früher beginnt, überall solche sauberen Technologien wie bei unserer Solar Impulse einzusetzen. Das würde den Verbrauch der fossilen Energievorräte unserer Erde enorm reduzieren.
Was braucht es dazu von Politik und Wissenschaft?
Es ist unabdingbar, dass die Regierungen einen gesetzlichen Rahmen schaffen und festlegen, wie viel fossile Energie eingespart werden muss. Dadurch erhielten die sauberen Technologien auf dem Markt eine echte Chance. Es ist heute zum Glück verboten, Abfall im Wald zu entsorgen, aber es ist immer noch erlaubt, die Luft mit so viel CO2 zu verpesten, wie man will. Halten Sie das für normal?
Wann ist die grüne Technologie auch finanziell interessant?
Gesamtheitlich betrachtet, ist erneuerbare Technologie heute schon wirtschaftlich. Sie ist nur teurer als fossile Energie, weil im Erdöl-, Erdgas- oder Kohlepreis die externen Kosten nicht eingerechnet sind, etwa die CO2-Belastung. Wenn man die Schaffung von Arbeitsplätzen einrechnet, die 14 Milliarden Franken für Erdölimporte in die Schweiz sowie die Energie- kosten, die man mit verbrauchsarmen Produkten einsparen kann, sind die Auswirkungen auf die Handelsbilanz und die Kaufkraft bereits positiv.
Reagieren die Menschen in Entwicklungsländern anders auf Ihre Vision als wir?
Die Schwellenländer wollen nicht die Rechnung für die umweltschädigenden CO2-Emissionen der reichen Länder bezahlen. Sie verstehen hingegen, dass es nötig ist, in saubere Technologien zu investieren. Warum? Wussten Sie, dass die meisten armen Länder mehr Devisen für Erdölimporte ausgeben, als sie mit ihren Exporten einnehmen? Das bedeutet, dass sie wegen ihres fossilen Brennstoffverbrauchs immer ärmer werden, dabei könnten sie selber Energie produzieren und damit im eigenen Land Wertschöpfung erzielen.
Was machen Sie, um Ihren Umweltfussabdruck zu verbessern?
Meine CO2-Bilanz ist katastrophal, wenn man bedenkt, dass die Solar Impulse dafür gebaut ist, einen einzigen Piloten um die Welt zu fliegen. Es wäre besser, einen Linienflug zu nutzen. Aber darum geht es nicht.
Was ist Ihre Entschuldigung?
Wir wollen aufzeigen, dass die Technologien, mit denen ein Flugzeug Tag und Nacht ohne Treibstoff fliegen kann, auch im Alltag zur Verfügung stehen, um im Haushalt, beim Autofahren, bei der Beleuchtung usw. Energie zu sparen. Ich lebe auch im Alltag nach dieser Philosophie, fahre ein Hybrid-Auto, lebe in einem wärmegedämmten Haus, heize höchstens auf 20 Grad, verwende Energiesparlampen und so weiter.
Sind Sie enttäuscht, dass die Schweiz beim Atomausstieg nicht stärker auf Solarenergie setzt?
Ja, ich bin sehr enttäuscht über die AKW-Ausstiegsstrategie, aber nicht nur in Bezug auf die Solarenergie. Alle erneuerbaren Energien, auch Biomasse-, Wind- und Kleinwasserkraftwerke sowie Tiefengeothermie, müssen gefördert werden. Aber noch dringender, als immer mehr Energie zu produzieren, wäre es, die Energie, die wir täglich verschwenden, mit geeigneten Massnahmen einzusparen.
Das ist Wunschdenken.
Nein. Das ist dank der heute verfügbaren Technologien die einfachste und wirtschaftlichste Lösung. Um die Grössenordnung zu verdeutlichen: Wir könnten ein ganzes Atomkraftwerk stilllegen, wenn wir nur alle normalen Lampen durch LED-Leuchten ersetzen, und ein zweites, wenn alle elektrischen Heizungen durch Wärmepumpen ersetzt würden. Die Lösungen stehen heute schon zur Verfügung, aber viele Leute haben Angst, Bekanntes loszulassen und sich auf Neues einzulassen. Doch es nützt nichts, ihnen deswegen Vorwürfe zu machen. Man muss sie ermutigen und ihr Vertrauen fördern.