Dank guter Erfahrungen während des Corona-Lockdowns bauen die Unternehmen in der Schweiz das Zu-Hause-Arbeiten aus. Tausende von Angestellten sind künftig aus den Augen ihrer Chefs. Ob sie künftig aufsteigen können, hängt von ihrer Leistung, nicht von ihrer Präsenz ab.
Die Corona-Krise hat bewiesen: Arbeiten lässt es sich auch zu Hause gut und zufriedenstellend. Im Lockdown quasi zum Homeoffice bekehrt wurden auch etliche Unternehmen, die vorher gar nichts davon wissen wollten. Gestern berichtete BLICK vom Durchbruch für Homeoffice. Jede zweite Firma will künftig Homeoffice ermöglichen. Die Arbeitgeber kommen nicht nur einem Bedürfnis der Mitarbeitenden nach, sondern versprechen sich auch Kostenvorteile – weit über die Krise hinaus.
So mancher Angestellte fürchtet sich nun um seine Aufstiegschancen, wenn er oft zu Hause statt im Büro arbeitet. Ist die Sorge berechtigt?
Fakt ist: Beim Homeoffice entfällt der spontane Austausch am Kaffeeautomaten. Ebenso das Netzwerken beim Zmittag oder Feierabendbier. Die Arbeitgeber sehen darin aber keinen Grund, sich gegen eine Ausweitung der Homeoffice-Arbeitszeit auszusprechen. Wenn der persönliche Austausch im Büro wegfalle, müssten die Mitarbeiter im Homeoffice selber aktiv den Kontakt mit ihren Vorgesetzten und Arbeitskollegen aufnehmen, sagt Daniella Lützelschwab (52), Geschäftsleitungsmitglied des Arbeitgeberverbandes. «Damit wird die fehlende Präsenz im Büro gar nicht mehr als Nachteil empfunden.» Dementsprechend blieben die Mitarbeiter auch gegenwärtig und könnten sich weiter für eine verantwortungsvolle Position empfehlen.
Problematisch für Frauen sind Minipensen, nicht Homeoffice
Der Arbeitgeberverband engagierte sich die letzten Jahre stark dafür, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Besteht nicht die Gefahr, dass das Homeoffice die Fortschritte gerade bei der Gleichstellung zunichtemacht? «Nicht Homeoffice, sondern Minipensen sind allfällige Karrierekiller, insbesondere für Mütter», betont Lützelschwab.
Gar keine Homeoffice-Nachteile für die Karriere ortet Werner Raschle (55). Der Chef des Kader- und Fachspezialistenvermittlers Consult & Pepper hat in seinem Unternehmen eben erst drei Mitarbeiterinnen während des Corona-Homeoffice befördert. Er ist überzeugt: In guten Firmen zähle die Leistung, nicht die Anwesenheit. Raschle: «Kein Arbeitgeber wird einen mittelmässigen, aber präsenten Mitarbeitenden einer guten Mitarbeiterin im Homeoffice mit überzeugenden Leistungen vorziehen.» Und wenn er es trotzdem tue, dann stelle sich die Frage nach seiner Führungs- und Beurteilungsfähigkeit.
Allerdings räumt er ein: Es sei anspruchsvoller, die sozialen Fähigkeiten von nicht präsenten Mitarbeitern zu beurteilen. Aber es sei lernbar und werde sich in den nächsten Jahren, vielleicht sogar schon Monaten einspielen.
Homeoffice funktioniert nicht mit Kontrollkultur
Tatsächlich machten sich Mitarbeitende im Homeoffice oft Sorgen um ihre Sichtbarkeit bei den Chefs, weiss Homeoffice-Expertin Alexandra Kühn (39), Chefin der auf flexible Arbeit spezialisierten Work Smart Initiative. Die Angestellten meinten, sie müssten vor Ort sein, sonst würden sie etwas verpassen. «Je mehr der Zwang des Arbeitgebers, im Büro zu sein, da ist, desto mehr haben die Mitarbeiter das Gefühl, sie müssten präsent sein», beobachtet sie. Das habe oft mit einer Kontroll- und Misstrauenskultur zu tun.
Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser. Dieses Führungsverständnis ist gemäss Fachkräftevermittler Raschle gerade im Finanzbereich sehr verbreitet. «Dort wurde während Jahren akribisch ein umfassendes Kontrollwesen aufgebaut, welches über weite Strecken Vertrauen ersetzte», ergänzt er.
Er fordert von den Firmenchefs nun ein Umdenken, gerade jetzt beim Ausbau des Homeoffice. Es brauche eine Vertrauenskultur. Dazu müssten Führungskräfte unter anderem Macht abgeben sowie Eigenverantwortung und Autonomie bei ihren Mitarbeitenden fördern. Und das nicht nur in der Corona-Krise, sondern auch darüber hinaus.