SonntagsZeitung,

«Ich habe keinen Job, für den ich einen Lohn erhalte»

Muhammad Yunnus: «Wer ein paar Millionen hat, will nachher noch mehr. Für was braucht man eine Milliarde? Der Milliardär kann nicht mehr essen» Foto: Creative commons

Nobelpreisträger Muhammad Yunus über seine Mikrokreditbank, egoistische Manager und Menschen als Geld scheffelnde Roboter

Interview: Claudia Gnehm

Er hat keine Medienentourage, will nicht einmal ein Glas Wasser. Mit seinem kragenlosen Hemd passt der Banker der Armen, Muhammad Yunus, nicht ins Businessmilieu. Die Türen zur Macht stehen dem Gründer der Mikrokredit-Bank Grameen aus Bangladesh dennoch offen. Der Friedensnobelpreisträger wird selbst in Bankerkreisen respektiert, hat er doch mit seinen Minikrediten millionenfach demonstriert, wie man mit Eigeninitiative, ohne Spenden und Staatsgelder, den Armen helfen kann. Einen Rückschlag erlitt er, als die Regierung Bangladeshs seine Bank 2011 zur Staatsbank 60 erklärte und ihn absetzte. Heute wird er rund um den Globus von Unternehmenschefs eingeladen, um zu erklären, was ein soziales Unternehmen ist. «Sie hören mir zu», sagt er in einer Bar in Davos.

Topmanager mögen Sie, weil die Grameen Bank von einer Privatperson gegründet wurde und Sie ein Unternehmer sind …

… und ich mag die Businessleute, weil sie wissen, um was es im Geschäft geht: Kosten decken, Nachhaltigkeit und Geld, das zurückfliessen muss. Bei karitativen Organisationen kann man das Geld einfach ausgeben.

Dann haben Sie etwas gegen Hilfsorganisationen?

Die meisten karitativen Organisationen könnte man in Sozialunternehmen wie die Grameen Bank umwandeln. Das wäre viel effizienter. Bei Sozialunternehmen kann dasselbe Geld immer wieder investiert werden. Es bleibt quasi im Betrieb. Das hat eine grosse Wirkung. Hilfswerke verwenden das Geld einmal. Es fliesst raus, bewirkt etwas – und ist weg.

Private Initiativen wie Ihre Grameen Bank können zwar sehr viele Menschen erreichen. Doch die Bank wird nun verstaatlicht. Ab welcher Grösse kommen solche Unternehmen dem Staat in die Quere?

Das ist ein politisches Problem von Bangladesh, das ist kein internationaler Trend.

Wie erleben Sie die neuen Player in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wie Katar oder die Vereinigten Arabischen Emirate?

Ich frage diese neuen Geber jeweils, wieso sie ihre Spenden nicht in Sozialunternehmen investieren. So könnte das Geld immer wieder reinvestiert werden. Einige Geber mit islamischem Hintergrund sind offen für das «Social Business». Sie sagen, es sei sehr nahe an islamischen Prinzipien. Im Gegensatz zu rein karitativer Hilfe, wo man nur gibt, nutzt und fördert das soziale Unternehmen die Begabungen und Talente der Individuen. Und es fördert Innovationen.

Kann ein Banker der Armen wie Sie besser schlafen als der Chef einer Grossbank?

Definitiv, ich schade niemandem. Ich helfe armen Frauen in Bangladesh und Menschen überall dort, wo unser Mikrokredit-Konzept übernommen wurde.

Sie sehen Schweizer Banker, die in Mikrokredite investieren, um damit eine Rendite zu erzielen, als Kredithaie. Wieso?

Ich habe die Grameen Bank als soziales Unternehmen gegründet. Ich wollte nie Geld verdienen damit. Ich habe an Mikrokrediten auch nie einen Rappen verdient. Ich frage mich, wieso sie damit Geld verdienen wollen. Die Banker wollen mit allem Geld verdienen, aber aus Mikrokrediten sollten sie keinen Profit schlagen. Es ist ein soziales Geschäft, um Menschen zu helfen. Ich frage die Banker, wenn ich sie treffe: Glauben Sie nicht, dass der Gewinn den Armen zugutekommen sollte? Dieser eine Dollar Gewinn hat viel mehr Bedeutung für einen Armen als für den Banker.

In den USA vergibt die Grameen Bank Kredite. Und in Europa?

In den USA läuft unser Modell sehr gut. In England starten wir Mitte Jahr eine Grameen Bank. Wir haben in Kosovo bereits eine Filiale. Ähnliche Programme gibt es in Frankreich und Norwegen.

Das Schweizer Bankgeheimnis ist Vergangenheit. Würden Sie hierzulande ein Bankkonto eröffnen?

Wenn ich hier ein Konto brauchen würde, dann ja, aber das ist nicht der Fall. Ich besitze selber kein persönliches Geld zum Aufbewahren.

Sie haben kein Geld?

Ich verdiene nichts mit der Bank, und ich besitze nirgends Anteile oder Aktien. Ich habe keinen Job, für den ich einen Lohn erhalte. Das einzige Einkommen, das ich habe, sind Gagen für Auftritte und Reden. Und wenn ich Bücher verkaufe, erhalte ich Tantiemen. Ich will keine Aktien besitzen.

Die letzten zehn Jahre waren Sie fast immer am Weltwirtschaftsforum in Davos. Sind wir in dieser Zeit Ihrem Ziel nähergekommen, die Armut auszurotten?

Die UNO will die Armut bis 2015 halbieren. Das ist nächstes Jahr. Viele Länder werden das bis zum 31. Dezember 2015 erreichen. Bangladesh hat man nie zugetraut, es zu schaffen. Doch wir waren bereits letzten Juni so weit. Wenn wir weltweit die Armut endlich halbiert haben, ist die grosse Frage, wie schnell wir sie ganz ausmerzen können.

Wer ist in der Pflicht?

Alle sollen sich dafür einsetzen! Leider ist die Wirtschaftselite sehr auf ihr Geschäft fokussiert. Sie stellt Schuhe oder Medikamente her, das ist ihr Fokus. Jemand muss ihnen aufzeigen, wie man einen Zusammenhang zwischen Schuhen und Armut herstellt. Sie brauchen Leute, die die Firmenstrukturen hinterfragen.

Haben die Mächtigen wirklich darauf gewartet, von Ihnen hinterfragt zu werden?

Ja. Während meiner ersten Jahre in Davos fragte ich die CEOs, ob es Zukunft hat und den Menschen dient, wenn sie nur auf Gewinne aus sind. Sie antworteten: «Sind Sie verrückt? Gewinn und Kapitalismus ist das Beste, das uns überhaupt geschehen konnte.» Das System funktioniere nun mal so – die CEOs konzentrierten sich auf Gewinn, und alle anderen profitierten davon: mit Jobs, Steuerabgaben und so weiter. Das ist die Story dieser Manager.

Und was ist Ihre Story?

Nur auf die Firma und das eigene Geld zu achten, ist egoistisch. Das zieht uns runter. Auch ich finde es gut, Geschäfte zu machen, um das Wachstum zu sichern. Aber gleichzeitig muss man diejenigen weiterbringen, die nicht in diesem System sind.

Peter Brabeck von Nestlé und andere Konzernchefs reden viel von Nachhaltigkeit und Ethik. Das interessiert sie aber nur, solange es dem Shareholdervalue förderlich ist.

Wir wollen die Chefs dazu bringen, sich auch für diese Themen zu interessieren, weil es für sie Sinn macht. Die Wirtschaftselite wurde darin geschult, nur auf ihre eigene Arbeit zu schauen, ja nicht Business mit anderen Zielen zu vermischen.

Sie verlangen den Fünfer und das Weggli.

Geld zu verdienen und Gutes zu tun, geht beides gleichzeitig, und es schadet niemandem.

Aber das ist doch nicht interessant, wenn es sich für die Unternehmen nicht im Aktienkurs niederschlägt.

Da entgegne ich: Erzählt uns die Börse denn die Wahrheit? Vielleicht sollte die Börse nicht nur darüber berichten, wie viel die Firma verdient, sondern auch ausweisen, was die Firma der Welt bringt.

Gibt es Wirtschaftsführer, die Sie bekehren konnten?

Es geht nicht ums Bekehren, sondern darum, dasselbe Gedankengut zu haben. In ihren offiziellen Reden geht es den Managern um Gewinnmaximierung. Wenn man sich mit ihnen an einen Tisch setzt, reden sie eine andere Sprache. Es gibt die offizielle Person und die wahre Person – den Menschen, der einen Sohn oder eine Tochter hat, die Fragen stellen, auf die er keine Antworten hat. Darüber reden wir am WEF. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die sagen, dass die Wirtschaft sich ändern muss. Eine wachsende Gruppe von CEOs namens Bteam.org sagt, dass Profit allein nicht genügt.

Welche CEOs sind dabei?

Zum Beispiel Richard Brandson, Ratan Tata, Chef der grössten indischen Firma, Ariana Huffington, Henri Pinault und Unilever-CEO Paul Polman – es sind rund 20 Top-CEOs. Dem A-Team ist es nicht gelungen, einen neuen Weg zu finden, deshalb braucht es jetzt ein B-Team. Ihr Ziel ist, nicht nur Gewinne zu erzielen, sondern Profite und Nutzen für die Menschen und den Planeten zu erzielen. Entsprechend müssen die Unternehmen zusätzlich diese Resultate ausweisen. Es ist allen klar: So wie bisher können wir nicht weitermachen. Die Kinder der CEOs finden keine Arbeit. Was ist das für ein System, das junge Menschen so verschwendet? Wessen Fehler ist das? Es ist nicht der Fehler des Marktes, wir haben diesen Markt geschaffen.

Was bringt die Entscheidungsträger dazu, sich zu ändern?

Sie haben dieses gescheiterte System gemacht, und jetzt müssen wir es flicken. Wenn wir das nicht machen, gibt es noch mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Diese Führer wurden auf irgendeine Weise in Handschellen gelegt, sie können nichts tun, weil sie im System gefangen sind. Doch wieso lassen wir es zu, dass die Rahmenbedingungen die Menschen bestrafen? Wieso kann nicht der Mensch das System bestrafen?

Haben Sie denn Ideen für neue Anreize?

Anreize bedeuten heute oft nur Geld. Doch Geld allein reicht dem Menschen nicht. Niemand besteigt den Mount Everest nur für Geld. Die erste Person war vor 50 Jahren oben. Hunderte gehen jedes Jahr wieder hoch, und einige sterben dabei. Haben sie einen Anreiz? Gibt es etwas, das sie oben erwartet? Oben hat es nichts ausser Eis. Und trotzdem sterben Menschen für den Aufstieg. Es ist nicht mehr aufregend, aber sie glauben, dass die Erklimmung des Gipfels eine grosse Errungenschaft in ihrem Leben ist. Doch was ist ihr Anreiz?

Weil die Gesellschaft das hoch bewertet.

Ja, weil sie Anerkennung finden. Es gibt viele andere Anreize als nur Geld. Wenn ich das Leben eines einzigen Menschen ändern kann, mache ich das. Nicht für Geld, sondern weil ich das Gefühl habe, für jemanden etwas zum Guten zu verändern. Und weil das mein Leben lebenswert macht. Das ist ein Anreiz. Wir müssen die Anreize neu definieren. Heute ist Geld der Grund, wieso die Menschen hart arbeiten. Das hat aus den Menschen Geld scheffelnde Roboter gemacht. Wir sind keine Roboter, wir sind Menschen. Das haben wir vergessen. Wir müssen immer mehr Geld machen und wissen gar nicht mehr, wieso wir das tun. Wer ein paar Millionen hat, will nachher noch mehr. Für was braucht man eine Milliarde? Der Milliardär kann nicht mehr essen.

Sagen Sie das den Konzernchefs?

Ich erzähle denen genau dasselbe wie Ihnen.

Okay, die finden das gut und nett. Im Alltag hat das aber keine Bedeutung für die Manager.

Ja, das stimmt. Allerdings erinnern sie sich an die Worte. Es sind dieselben Worte und dieselbe Sprache ihrer Töchter und Söhne. Es sind dieselben Fragen, die der Manager immer wieder hört. Wieso beutest du Menschen aus, um Geld zu machen? Wieso zerstörst du die Umwelt für höhere Gewinne?

Gibt es überhaupt einen ethischen Kapitalismus? Oder schliesst sich das gegenseitig aus?

Ja es gibt ihn, den ethischen Kapitalismus. Aber ein Grossteil des Kapitalismus ist unethisch geworden. Ich erkläre den Chefs, was ich unter einem ethischen Unternehmen verstehe: Das wichtigste Prinzip ist, Menschen und dem Planeten keinen Schaden zuzufügen und die Menschen nicht zu täuschen. Das sind alles Dinge, die man in der Businesswelt macht. Solange die Gewinne fliessen, ist es den Managern egal, wenn Esswaren schädliche Stoffe enthalten oder sie Zigaretten verkaufen, die zum Tode führen können.

Wieso fordern Sie nicht mehr internationale Regulierung?

Wenn Sie eine Regulierung einführen, finden die Unternehmen fünf neue Wege, um sie zu umgehen. An der Oberfläche sind alle konform. Sie tun nichts Illegales, aber etwas Unmoralisches. Die Änderung muss von den Unternehmen selber kommen. Ist es zu viel verlangt, zu versprechen, dass man den Menschen keinen Schaden zufügt? Will der Manager denn Schaden anrichten? Nein, nicht mit Absicht. Trotzdem passiert es immer wieder. Stellen Sie sich vor, wie viele Unternehmen dichtmachen müssten, wenn sie den Menschen und dem Planeten nicht schaden dürften.

Ist es nur schlecht, wenn die Businesselite darauf getrimmt ist, viel Gewinn zu erzielen?

Gewinn ist gut – unter gewissen Bedingungen. Wenn es keine Regeln gibt, kann man morden für den Gewinn.

Wer stellt diese Regeln auf?

Die Geschäftsleute selber. Es kann nicht die Regierung oder der Staat sein. Sie müssen selber definieren, was ihr Business ist.

Banker ohne Bonus

Muhammad Yunus wurde als drittes von 14 Kindern 1940 in Chittagong/Bangladesh geboren. Er studierte Ökonomie in Bangladesh und in den USA. Als Ökonomieprofessor in Chittagong vergab er in den 70er-Jahren die ersten Minikredite an Arme für Kleinprojekte. 1983 gründete er die Grameen Bank, wofür er 2006 den Friedensnobelpreis erhielt. Auch weil er der Regierung zu mächtig wurde, verstaatlicht sie 2011 seine Bank und setzt ihn ab. Yunus Credo: Der Kapitalismus muss besser werden durch die Einführung von Sozialunternehmen.


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