SonntagsZeitung,

«Ich habe Aktivismus im Blut»

Suzi LeVine, die neue US-Botschafterin in Bern, legte ihren Eid auf einen E-Reader ab, auf dem eine Kopie des 19. Verfassungszusatzes zu sehen war. Foto: State Departement

Suzi LeVine, die neue Botschafterin der USA in Bern, sieht ihren Sprung aufs diplomatische Parkett nicht als Belohnung dafür, dass sie einst Spenden für Barack Obama sammelte.

Claudia Gnehm

Bern Vor der Botschaft in Bern flattert die US-Flagge im Wind. Die Horten­sien im Residenzgarten hoch über der Aare duften süss, und der neunjährige Sohn der Botschafterin spielt Fussball auf dem perfekt geschnittenen Rasen. Hier residiert die ehemalige Microsoft-Managerin Suzi LeVine, seit diesem Sommer neue US-Botschafterin in der Schweiz, ernannt von Präsident Barack Obama.

2005 hatte sie ihn bei einer zufälligen Begegnung kennen gelernt. Nach dem Treffen rief die heute 44-Jährige ihren Mann an. «Ich sagte ihm, wenn dieser Obama sich ums Weisse Haus bewirbt, werde ich alles tun, damit er gewählt wird», erzählt LeVine. Damals war sie hochschwanger mit ihrem zweiten Kind, leistete neben ihrem Führungsjob Freiwilligenarbeit, hatte aber keine aktive Rolle in der Politik.

Obama sei ihr «grosser Bauch aufgefallen», sagt LeVine. Er habe sich nach ihrem Befinden erkundigt und erzählt, was er alles tue, um trotz Senatsposten in Wa­shington möglichst oft bei seinen Töchtern in Chicago zu sein. In den Bann gezogen hat sie Obamas Rede darüber, wie er aus Schwierigkeiten neue Chancen macht und wie er Menschen aus verschiedenen Welten zusammenbringt. LeVine hat noch heute, neun Jahre später, alles präsent: «Er wirkte so ruhig und bodenständig. Und ich wusste, er wäre ein aus­sergewöhnlicher Präsident, der so führt, wie ich es mir vorstelle.»

Ihre Mutter nahm LeVine schon als ­Vierjährige mit zu Demonstrationen

LeVine hat Englische Literatur und Maschinenbau studiert. Lange wollte sie Astronautin werden. Doch stattdessen machte sie Karriere in der Privatwirtschaft. Von Microsoft wechselte sie zum Reiseportal Expedia. Aber sie war nie der Typ, der sich nur im Job engagiert. Politisches und soziales Engagement wurden ihr in die Wiege gelegt.

LeVine kommt aus einer Familie mit langer Tradition im Staatsdienst. Ihr Grossvater mütterlicherseits war während des Ersten Weltkriegs für die US-Armee im Einsatz, er gründete später die Veteranenorganisation American Legion und war regelmässig bei US-Präsident Harry S. Truman zum Mittagessen. Ihr Vater war Arzt und diente in Vietnam. Er habe sich, getreu des J.-F.-Kennedy-Appells, immer gefragt, was er für sein Land tun könne, erzählt LeVine. Ihre Mutter war in der Gemeinde aktiv und nahm ihre vierjährige Tochter mit zu einer Demonstration vor einem russischen Zirkus, um Ausreise­bewilligungen nach Israel für sowjetische Juden zu fordern. «Ich habe Aktivismus und Engagement im Blut», sagt LeVine. «Ich bin immer aufgewacht mit der Frage: «Was kann ich heute tun, damit die Welt besser wird?»

Nach dem Treffen mit Obama und der Geburt ihrer heute 9-jährigen Tochter hängte sie den Job an den Nagel und setzte ganz auf Freiwilligenarbeit. Finanziell war das machbar, ihr Mann Eric LeVine arbeitete ebenfalls bei Microsoft – inzwischen betreibt er sein eigenes erfolgreiches Weinportal, Cellartracker.

Das Wissen darüber, wie man eine gute Kampagne organisiert, eignete sie sich bei sozialen Aktivitäten während des Studiums an. Auch in ihren bezahlten Jobs habe sich immer alles um die Frage gedreht, wie sie die Menschen erreichen und Brücken bauen könne. Bevor sie für Obamas Wahlkampagne unterwegs war, gründete sie in ­Seattle die jüdische Kooperative Kavana, die sie wie ein Unternehmen führte. Landesweit gilt das Sozialunternehmen als exemplarisch.

LeVine sind die jüdischen Werte wichtig, orthodox ist sie nicht. Bevor sie in die Schweiz zog, war sie als Präsidentin des Beirats für ein Forschungsinstitut an der Universität Washington in Seattle tätig, welches das Lernverhalten von Kindern untersucht.

Für die beiden Präsidentschaftskampagnen von Obama soll sie 2,3 Mio. Dollar gesammelt haben. Dafür habe sie viel Schuhleder abgetreten. Ihr Mantra: «Jeder Einzelne ist entscheidend.»

LeVines Familie folgte ihr gern in die Schweiz. Wie ihre eigenen Eltern es getan hatten, involviert sie ihre Kinder immer; sie waren dabei, als sie von Tür zu Tür ging, um Menschen zum Wählen aufzufordern. «Meine Kinder verstehen, was in meinem Umfeld passiert, und sind offen für ­Neues.»

Auf Twitter berichtete sie bereits über ihre Erlebnisse in den Bergen

Manchmal schlägt der Wind die riesigen Fenster der Residenz zu. LeVine er­schrickt. Vorbereitungen für den nächsten Empfang laufen in den Nebenräumen.

Dass LeVine – wie ihr Vorgänger ­Donald Beyer – den Botschafterposten als ­Belohnung für die Unterstützung des Präsidenten erhalten habe, wird zuweilen kritisiert. Sie sagt: «Ich bin überzeugt, dass Barack Obama mir den Berner Posten wegen meines Hintergrunds gab.» Sie habe Führungserfahrung in allen Bereichen, in denen die Schweiz eine führende Rolle spiele: Technologie, Innovation, Bildung und Sozialverantwortung. Zudem teile sie das Schweizer Interesse an der Umwelt, den Bergen und den Respekt vor Indi­viduen.

Auf Twitter berichtete sie bereits über ihre Erlebnisse in den Bergen. In der Aare sei sie auch schon geschwommen. «Ich bin mit den Kindern von der Eichholz-Brücke heruntergesprungen – letzte Woche war das Wasser mit 16 Grad allerdings ­etwas kalt.»

LeVine ist gewarnt worden, dass Schweizer etwas reserviert seien. «Ich bin deshalb positiv überrascht, wie offen und interessiert ich hier empfangen werde – sei es auf dem Markt, von Schülern oder Wirtschaftsführern.» Die energiegeladene Amerikanerin scheint alles zu haben, was eine moderne Frau gern hätte – Karriere, Familie, Ansehen, Macht und Freiheiten. Dennoch stellte sie sich hinter Hillary Clintons ehemalige Stabschefin ­Anne-Marie Slaughter, die ihren Topjob für die Familie an den Nagel hängte und darauf den kontrovers aufgenommenen Artikel «Why Women Still Can’t Have It All» (Wieso Frauen noch immer nicht alles haben können) publizierte.

Stärker beeindruckt habe sie allerdings die Antwort von Dana Shell-Smith. In ihrem Buch «How to Have an Insanely Demanding Job and 2 Happy Children» (Wie man einen wahnsinnig anspruchsvollen Job und zwei glückliche Kinder haben kann) ermutigte die ehemalige Generalsekretärin im US-Innenministerium Frauen und Männer, selber zu definieren, was für sie Erfolg und «alles» bedeutet. Le­Vines Fazit: «Wir können auf die Frage ‹Können Frauen alles haben?› verzichten.» Um Erfolg zu haben, habe sie früher bis um 22 Uhr gearbeitet. Heute wolle sie zu dieser Zeit bei ihrer Familie sein. «Ich glaube nicht, dass es nur eine Definition für Erfolg gibt – in der Schweiz scheint es mir besonders möglich zu sein, dass Menschen das individuell definieren.»

Zum Abschied schwärmt Suzi LeVine von der Bodenständigkeit der Schweizer. Draussen schnippelt ein Gärtner an den Büschen und perfektioniert ihre Form. Auf dem tadellosen Rasen wird ­Botschafterin LeVine ihrem Sohn wohl bald ein kleines Fussballtor aufstellen, wenn das Protokoll es zulässt.

Suzi LeVine auf dem Podium «Frauen – neue Leader, neue Arbeitswelt» des www.forum-executive.ch/frauen von Tamedia

"Ich weiss nicht, ob ich Obama in die Schweiz bewegen kann"

Wie haben Sie auf die Rassengewalt in der US-Stadt Ferguson reagiert?

In den USA muss sich in Sachen Toleranz, Verständnis und Zuhören noch viel verbessern. Präsident Obama machte das Richtige, dass er die Menschen zusammenbringt, um einander zuzuhören. Die Lage entschärfte sich, nachdem die Nationalgarde vor Ort mit den Leuten gesprochen und die Situation beruhigt hatte.

Reicht das?

Der Vorfall zeigt, wie notwendig es ist, herauszufinden, wie wir Stereotypen überwinden und Vorurteile ausräumen können. Wie wir Menschen als Menschen anerkennen können. In Seattle fahre ich oft am Sitz der Stiftung von Bill und Melinda Gates vorbei. Dort steht: «Alle Menschenleben sind gleich viel wert»: Das muss bei allen ankommen.

Können Sie Barack Obama dazu bringen, die Schweiz zu besuchen?

Ich weiss es nicht. Am wichtigsten ist, dass unsere Beziehungen zur Schweiz gut bleiben und wir sie auf wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene weiterentwickeln können.

Die USA und die EU haben Russland Sanktionen auferlegt. Die Schweiz ist diesbezüglich eine Insel. Was halten die USA davon?

Ich würde nicht von einer Insel sprechen. Es hat uns sehr ermutigt, dass der Bundesrat Ausweichgeschäfte über die Schweiz verhindern will. Letzte Woche war ein Team der US-Regierung hier, welches das Vorgehen der Schweiz begrüsste. Natürlich regen wir an, die Sanktionen weiter zu unterstützen. Doch das muss die Schweizer Regierung entscheiden.


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