SonntagsZeitung,

Glencore: Showdown auf dem Land

Kohlewerk von Glencore in Newlands, Australien. Foto: Glencore

Die Gemeinde Obfelden will Steuergelder von Glencore über Hilfswerke an jene Länder zurückgeben, in denen Glencore Rohstoffe ausbeutet. Die Reportage aus dem Dorf, das den Aufstand probt

Claudia Gnehm

Obfelden Sehr gestaunt habe er, als ein Brief von Glencore-CEO Ivan Glasenberg im Briefkasten lag, sagt der Obfelder SP-Präsident Heiner Stolz. In diesem Schreiben, das der SonntagsZeitung vorliegt, nimmt Glasenberg Stellung gegen eine Initiative, die 252 Obfelderinnen und Obfelder im September eingereicht hatten: Die Gemeinde profitiert über den Finanzausgleich vom Börsengang des Zuger Rohstoffkonzerns – ein Teil dieses Geldes, fordern die Initianten, soll über Hilfswerke zurück in jene Länder fliessen, in denen Glencore Rohstoffe abbaue.

Das 4800-Seelen-Dorf im Kanton Zürich gehört zu sechs Gemeinden im Säuliamt, in denen Bürger das Geldgeschenk aus dem Glencore-Börsengang weiterverschenken wollen. Rund ein Dutzend politisch aktiver Säuliämtler hat von Glasenberg das fünfseitige Schreiben erhalten, das der Obfelder SP-Präsident Heiner Stolz am letzten Mittwoch aus seinem Briefkasten fischte. Zufall? Kaum.

Am selben Tag findet in Obfelden der Informationsabend über die Rohstoff-Solidaritätsinitiative statt.

Im Singsaal der Dorfschule versammeln sich rund 100 Bürgerinnen und Bürger. Man kennt sich. Am 10. Dezember wird über die Initiative abgestimmt. Zehn Prozent des Geldes, das die Gemeinde nach dem Glencore-Börsengang erhielt, soll zurück in den Kongo, nach Kolumbien und Bolivien gehen – dort, so die Initianten, beute Glencore Rohstoffe aus.

Gegen 22 Uhr kippt die Stimmung im Singsaal, der Infoabend wird zu einem hitzigen Wortgefecht. Die Kontrahenten: zwei auswärtige Hochdeutsch sprechende Herren und Ortsansässige. Das Duo, so zeigt sich, sind Glencore-Vertreter. Sie wollen ihren Konzern schön darstellen. Das Dorfvolk aber lässt sie nicht ausreden, fällt ihnen ins Wort.

Von Dankbarkeit über den Geldsegen ist nichts zu spüren. «Das Geld gehört dorthin, wo es herkommt», sagt eine Teilnehmerin. Sie ist nicht die Einzige, die wissen will, wie schmutzig das Geldgeschenk ist.

Der Börsengang brachte Glencore-Chef Glasenberg einen satten privaten Gewinn, dafür musste er in seiner Wohngemeinde Rüschlikon 360 Millionen Franken Steuern zahlen. Davon wiederum flossen 160 Millionen Franken in den kantonalen Finanzausgleich – und davon profitiert die Gemeinde Obfelden mit einer halben Million Franken.

Sogar Profiteur Zug distanziert sich vom Rohstoffkonzern

Für Glencore sind Bürger, die das Rohstoffgeschäft anprangern, an der Tagesordnung und Gerichtsprozesse mit Geschädigten normal. Aber dass die Mini-Abstimmung in Obfelden Glasenberg provoziert, zeigt die wachsende Isolierung von Glencore.

In der politischen Debatte gewinnen die Kritiker hierzulande zunehmend die Überhand. Sie wollen den Rohstoffplatz Schweiz zu Transparenz zwingen. Inzwischen geht sogar der Kanton Zug, der grosse Profiteur des Rohstoffhandels, auf Distanz. Der Zuger Volkswirtschaftsdirektor Matthias Michel (FDP) wies letzte Woche auf die Reputationsrisiken für Zug hin, die durch die Rohstoffbranche bedingt seien.

Die Obfelder Initianten, darunter viele Berufsleute über 50, sehen es als moralische Pflicht, einen Teil des Geldgeschenks den Armen in den Rohstoffabbauländern zukommen zu lassen. «Damit wollen wir die problematischen Geschäfte im Rohstoffbusiness thematisieren und ein Signal nach Bundesbern senden», sagt Mitinitiantin Helena Heuberger.

Über die Schattenseiten des Rohstoffbusiness – von Kinderarbeit bis zur Umweltzerstörung – berichten am Infoabend in Obfelden der Zuger Alt-Regierungsrat Hanspeter Uster und der Rohstoffexperte Andreas Missbach von der Erklärung von Bern. Betretene Gesichter. Plötzlich fällt eine Lichtabdeckung knapp an den Zuhörern vorbei von der Decke auf den Boden. Die Schule hat schon bessere Zeiten gesehen – die Gemeinde könnte das Glencore-Geld brauchen. An der anstehenden Gemeindeabstimmung soll auch die Erhöhung des Steuerfusses beschlossen werden – um die Schule auszubauen.

Laut Gemeindepräsident Thomas Ammann (FDP) widerspricht die Initiative daher der momentanen Sparpolitik des Gemeinderats. Der ganze Obfelder Gemeinderat wird Nein stimmen. Der Grund: Was, wenn Bürger über Einnahmen von weiteren nicht ganz zweifelsfreien Unternehmen abstimmen wollen?

Ein kurzes Raunen geht durch den Singsaal. Dann konzentrieren sich die Teilnehmer wieder auf eine geballte Kritik am Rohstoffabbau. Sogar Papst Franziskus habe vor wenigen Tagen die giftigen Abbaumethoden von Glencore und Konsorten in Südamerika angeprangert, sagt Uster. Tatsächlich liess sich der Papst mit einem Kampagnen-T-Shirt von rohstoffkritischen NGOs ablichten.

2 Glencore-Vertreter gegen 100 empörte Obfelder

Endlich die Fragerunde: Glencore-Vertreter Michael Fahrbach kriegt das Mikrofon, stellt sich als Nachhaltigkeitschef von Glencore vor. Gelächter im Saal. Fahrbach lässt sich nicht beirren: «Ich finde Ihre Veranstaltung interessant, weil sie sich für uns interessieren. An den Vorwürfen stimmt aber nichts.» Zwischenrufe aus dem Publikum. Der Nachhaltigkeitsleiter spricht weiter: «Wir erachten es als wichtigen Beitrag, in die Länder zu gehen und zu investieren . . .» Empörte Zurufe: «Fertig Glencore-Werbespot!» Eine Obfelderin will wissen: «Zahlt Glencore wenigstens Steuern für die Mine?» Fahrbach windet sich: «Wir investieren in die Mine und sind deshalb von den Steuern befreit.» Dann kanzelt Fahrbach die nationale Plattform «Recht ohne Grenzen» ab, die Glencore gesetzlich zu Transparenz und Rechenschaft verpflichten will. Man halte das für «ein sehr schwer durchsetzbares Projekt», erklärt der Glencore-Vertreter. Und erntet dafür erbostes Murren, das durch die Reihen geht. Eine Zuhörerin hat schliesslich Erbarmen: «Ich möchte den beiden Herren für ihren Mut danken, zu uns zu kommen, das war wahrscheinlich nicht so angenehm.» Der Saal lacht wieder. Der erste Versuch von Glencore für einen Dialog mit dem Volk war ein Schuss in den Ofen. Doch Glencore kann sich das Einigeln nicht mehr leisten.

Rege Debatte im Singsaal Obfelden: Die zwei Glencore-Vertreter Michael Fahrbach (l.) und Charlie Watenphul (r.) in der Bildmitte

Papst mit Anti- Rohstoff-T-Shirt «Wasser ist mehr wert als Gold», das die Wasservergiftung bei der Förderung kritisiert

Glencore-Chef Ivan Glasenberg Foto: FT c/o: Dianna Bonner
Papst mit Anti- Rohstoff-T-Shirt «Wasser ist mehr wert als Gold», das die Wasservergiftung bei der Rohstoff-Förderung kritisiert

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