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Galeristin Ingeborg Henze-Ketterer an der ART «Für uns ist die Messe ein Muss»

Ernst Ludwig Kirchner, „Entführung“, 1905 Holzschnitt. Dr. Wolfgang und Ingeborg Henze-Ketterer, Wichtrach/Bern

Als einzige Berner Galerie ist die Galerie Henze & Ketterer an der ART Basel vertreten. Ingeborg Henze-Ketterer, die den Betrieb zusammen mit ihrem Mann Wolfgang führt, über die Bedeutung der ART.

Interview: Konrad Tobler und Claudia Laubscher

Weshalb ist es für Sie als Galeristin wichtig, an der ART Basel präsent zu sein?

Ingeborg Henze-Ketterer: Wir waren seit 1971, der zweiten ART, dabei. Als wir dann 1993 nach Bern zogen, dachten wir, es sei nicht mehr notwendig, an der ART auszustellen, weil Bern nur eine Stunde von Basel entfernt ist. Aber wir haben gemerkt, dass die ART ein absolutes Muss ist.

Woher kommt der hohe Stellenwert der ART?

Die ART hat sich seit 1970 als Kunstmesse weltweit derart etabliert, dass man dabei sein muss.

Deswegen sind Sie seit 2001 wieder dabei. Erklärt sich dieses «Muss» nur mit der symbolischen Präsenz auf dem internationalen Kunstmarkt?

Die Messe dient in erster Linie als Informationsplattform. Auf Hunderten von Quadratmetern bieten alle wichtigen Galerien der Welt ihre Kunst an. Der Besucher, der potenzielle Käufer und der Kunstinteressierte an sich haben die Möglichkeit, sich innerhalb einer Woche in Basel über das internationale Kunstgeschehen zu informieren. Das ist Grund genug, dort präsent zu sein.

Die ART ist also erst in zweiter Linie eine Verkaufsplattform?

Bevor jemand kauft, muss er sich mit dem Kunstwerk auseinander setzen und einen Zugang finden. Vorher kommt es nicht zum Kauf. Die Messe bietet diese Möglichkeit der Begegnung und zeigt Schritt für Schritt Vergleichsbeispiele.

900 Galerien aus aller Welt haben sich für die diesjährige ART beworben. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass Sie unter die 268 Galerien gelangten, die zugelassen wurden. Wieso schafften Sie es?

Das müssen Sie den Zulassungsausschuss fragen. Eine Erklärung wäre die, dass wir bereits während 21 Jahren an der Messe teilgenommen haben. Die andere, dass die Qualität unseres Galerieprogramms und der gezeigten Werke überzeugt hat.

Haben Sie letztes Jahr von der ART profitiert?

Wir gewannen neue Kunden und konnten bestehende Kundenkontakte intensivieren. Kundenkontakte sind für eine Galerie das A und O. Überdies ermöglichte uns die Messe Kontakte zu Kollegen und Künstlern.

Waren Sie mit den Verkäufen zufrieden?

Wir haben sehr gut verkauft – ich schätze, rund die Hälfte der Exponate. Aber das hängt vom Angebot ab. Letztes Jahr hatten wir Werke der klassischen Moderne dabei: Wir präsentierten die Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel, Karl Schmidt-Rothluff und Emil Nolde.

Welches sind Ihre Prognosen für dieses Jahr?

Prognosen kann ich keine machen. Wenn Sie wissen wollen, ob die Messe gut laufen wird, muss ich mit einem Standardsatz antworten: Entscheidend ist es, das Richtige dem Richtigen zum richtigen Zeitpunkt anzubieten. Das heisst: Ich stelle ein Kunstwerk aus, es kommt ein Sammler, und den begeistert dieses Gemälde derart, dass er es kaufen will. Das ist der einzige Weg zu verkaufen. Aber dieser richtige Moment lässt sich nicht beeinflussen.

Haben Sie keine Bedenken, dass es dieses Jahr mehr Kunstliebhaber gibt, denen nach dem Absturz der Börse in diesem Moment das Geld fehlt?

Der Börsengang hat keinen grossen Einfluss. Im Gegenteil, ich glaube, viele Leute wollen lieber etwas Konkretes in der Hand haben als etwas Fiktives auf der Bank. Die ART soll auch ein Ort sein, an dem man neue Werke entdecken kann, die sich dann langsam zu einem Augenwurm entwickeln und einen zum Schluss bringen: Genau dieses Kunstwerk möchte ich gerne haben. Die ART ist ein Ort, an dem den Menschen die Schwellenangst genommen werden soll. Natürlich soll auch verkauft werden. Ein Verkauf ist Anerkennung unserer Arbeit.

In welchem Preissegment bewegt sich Ihr Angebot?

Zwischen 30 000 und 1 Million Franken.

Spüren Sie die Auswirkungen des 11. September 2001?

Wir beobachten, dass die Kunden weniger Katastrophenbilder wie beispielsweise jene von Daniel Spoerri kaufen. Sie wollen solche Szenarien nicht auch noch an ihren Wänden sehen. Nach den Ereignissen gilt jedoch Kunst wieder vermehrt als sicherer Wert.

Sie gehen mit einem sicheren «Kapital», dem deutschen Expressionismus, an die ART. Wie sicher sind im Vergleich dazu die Werke von Daniel Spoerri und Jürgen Brodwolf, die Sie ebenfalls vertreten?

Diese haben noch nicht die Sicherheit und Wertschätzung erreicht wie die deutschen Expressionisten. Die Sicherheit tritt beim breiteren Publikum ohnehin erst nach etwa hundert Jahren ein. Der deutsche Expressionismus ist erst jetzt in der Phase, wo er breit anerkannt wird. Das zeigt sich etwa darin, dass in Italien dieses Jahr die erste Kirchner-Ausstellung überhaupt stattfindet, in Grossbritannien wird das erst im nächsten Jahr der Fall sein. Das zeigt, dass der deutsche Expressionismus zwar geschätzt wird, dass aber immer noch viel zu tun ist, damit er weltweit anerkannt wird.

Ist die ART so auch ein Forum, wo sich nationale Wertschätzungen verändern?

Auch wenn wir mit deutschen Expressionisten auf die Messe gehen, ist es nie ein Spiel, das zu 100 Prozent sicher ist. So ist es auch mit Künstlern wie Daniel Spoerri oder Jürgen Brodwolf. Sie sind zwar in gewissen Kreisen bekannt; ausserhalb dieser Kreise wächst das Verständnis und Anerkennung erst noch. Ein Kauf braucht immer noch Mut.

Bedeutet das für Sie, dass langfristige Investitionen notwendig sind, bis die Werte realisiert werden können?

Dazu braucht es Jahrzehnte. Mein Vater Roman Norbert Ketterer begann in den 50er-Jahren, sich mit dem Werk Kirchners und dessen Verbreitung zu beschäftigen. Und wir tun das heute noch. Wenn wir damit aufhörten, würde die Anerkennung, die wir aufbauten, wieder abnehmen. Entscheidend ist es, für das Werk eines Künstlers – sei es durch Publikationen und durch Ausstellungen – konstant etwas zu tun.

Ist das selbst bei einer Berühmtheit wie Kirchner noch notwendig?

Ich kann mir vorstellen, dass Kirchner jetzt sozusagen ein Selbstläufer ist. Will man aber bei anderen Künstlern einen ähnlichen Stellenwert erreichen und beibehalten, gibt es viel zu tun. Die Kunstpflege ist das Allerwichtigste an unserer Arbeit.

Jagen sich die Galeristen die Werke derselben etablierten Künstler ab, weil diese lukrativer sind als junge Kunst?

Nein. In einer Galerie sollte man mit etablierten Künstlern eine Art Humus schaffen und darauf jüngere Künstler aufbauen. Auch das gehört zum «Muss».

Sie säen heute für die Ernte von morgen …

… oder übermorgen.

Können Sie die Verkäufe über die Preise steuern, in dem Sie andere Galerien unterbieten?

Auf diese Idee wäre ich noch nie gekommen. Der Preis oszilliert selbstverständlich, weil sich die Wertschätzung eines Künstlers verändert. Ein extremes Beispiel ist der französische Maler Bernard Buffet, der in den 50er-Jahren ein äusserst beliebter Künstler war. Er wird heute kritisch betrachtet, kann jedoch in einigen Jahren wieder höher eingestuft werden. Dass man sich aber gegenseitig unterbieten würde, um zu verkaufen: Das kommt nicht vor. Man überbietet sich eher, um an gute Ware zu gelangen.

Ist die Beschaffung schwieriger geworden?

Ja, besonders auf dem Gebiet der klassischen Moderne. Vieles ist heute in festen Händen oder in Museen. Das ist jedoch richtig und gut.

 

Zur Person

Ingeborg Henze-Ketterer (61) führt mit Wolfgang Henze die Galerie Henze & Ketterer in Wichtrach. Die Liebe zur Kunst hat sie von ihrem Vater geerbt, dem Auktionator und Kunstsammler Roman Norbert Ketterer. Dieser wurde in den 50er-Jahren Nachlassverwalter von Ernst Ludwig Kirchner. Der heute 90-jährige Grand Homme der Kunst zog 1963 mit seiner Stuttgarter Galerie nach Campione d’Italia um. 1970 eröffneten Ingeborg und Wolfgang Henze-Ketterer ihre eigene Galerie in Campione. 1988 übernahmen sie die Rechte der Galerie Ketterer. Sie liessen sich 1993 in Wichtrach nieder und wurden durch Ingeborgs Bruder Günther verstärkt.


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