Unter Präsident Albert Baehny produziert Lonza heuer 400 Millionen Corona-Impfungen. Eine Anpassung des Wirkstoffs auf Corona-Mutationen ginge in Schnelle. In Visp VS würden auch die nächsten Jahre Hunderte Jobs geschaffen, erklärt er im Interview
Sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, stellen 200 Lonza-Mitarbeitende in Visp VS den Wirkstoff für die Corona-Impfung des US-Konzerns Moderna her. Hinter dem wichtigen Produktionsdeal zur Bekämpfung der Pandemie steht Lonza-Präsident Albert Baehny (68). Er war in dieser intensiven Zeit gleichzeitig auch als Konzernchef tätig. Obwohl er seit November kein Doppelmandat mehr hat, sei sein Alltag nicht viel ruhiger geworden, erklärt er im BLICK-Interview.
BLICK: Herr Baehny, am 1. Mai gaben Sie die Kooperation mit Moderna bekannt. Wann waren Sie erstmals sicher, dass Lonza für Millionen Menschen Moderna-Impfstoffe produzieren kann?
Albert Baehny: Das war einen Monat später, im Juni 2020. So lange haben wir gebraucht, um die Informationen bezüglich Prozess und Equipment auszutauschen.
Welchen Einfluss hätte nun die Anpassung der Impfung auf Mutationen auf die Herstellung von Lonza?
Die Geschwindigkeit der mRNA-Produktentwicklung ist wohl am besten positioniert, um sich neuen Bedürfnissen aufgrund von Mutationen anzupassen. Die Produktionsplattformen existieren, die Entwicklung ist schnell. Sie dauert nur einige Wochen, wie im Fall des jetzigen Impfstoffs bewiesen wurde.
Werden Sie für weitere Anbieter Corona-Impfstoffe produzieren?
Wir haben verschiedene Anfragen. Darüber hinaus arbeiten wir mit der US-Firma Altimmune an der Herstellung eines intranasalen Impfstoff-Kandidaten für Covid-19, wo eine einzige Dosis ausreicht.
Welche Risiken haben Sie bei der Moderna-Kooperation in Kauf genommen?
Ohne zu wissen, wie die klinischen Resultate aussehen werden, sind wir die Partnerschaft eingegangen und haben auch in diese investiert. Auch die Geschwindigkeit, um neue Produktionslinien zu bauen, war eine extreme Herausforderung und ein sehr hohes Risiko.
Ist die Herstellung der Wirkstoffe für die Corona-Impfung überhaupt rentabel?
Wir haben nicht das Ziel, mit diesem Projekt die Profitabilität zu maximieren, sondern einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Und damit wir so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren können.
Lonza sucht viele Fachkräfte. In Visp entstehen 500 bis 600 Jobs pro Jahr. Stellt der Personalnachschub einen Engpass für die Expansion dar?
Wir haben in Visp in den letzten drei Jahren 1000 neue Mitarbeitende angestellt. Und es wird in den nächsten Jahren im gleichen Stil weitergehen. Bisher gelang es uns gut, lokal, national und international Fachkräfte für Lonza zu begeistern. Ich bin überzeugt davon, dass das Wachstum von Lonza gerade am Standort Visp wie geplant fortschreiten wird.
Wie beurteilen Sie den Fachkräftepool in der Schweiz?
Die Schweiz hat ein ausgezeichnetes Bildungssystem und hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die motiviert sind, sich weiterzuentwickeln und weiterzubilden. Qualitativ sind wir sicherlich eines der Topländer weltweit.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial?
Wir haben die Zusammenarbeit mit den Universitäten und Fachhochschulen intensiviert, damit wir gemeinsam die Forschungen, die Innovationen sowie die Aus- und Weiterbildungsangebote noch fokussierter auf die Bedürfnisse des Unternehmens und der Wirtschaft ausrichten können.
Gibt es bei den Rohstoffen Knappheit oder Inflationen?
Es gibt heute bei den Rohstoffen keine Knappheiten, aber zukünftige Engpässe sind nicht auszuschliessen. Um den Wirkstoff zu produzieren, brauchen wir 500 Rohstoffe. Sollte ein einziger fehlen, können wir nicht mehr produzieren.
Lonza investiert stark in die Entwicklung von Biokonjugaten, Biomolekül-Verbindungen, für neue Therapien. Wie beurteilen Sie deren Potenzial?
Biokonjugate sind eine wachsende Klasse von Biopharmazeutika. Das Konzept basiert darauf, die hohe Sensibilität eines bestimmten Antikörpers gegenüber einem ausgewählten Tumor auszunutzen und dessen zelltötende Kapazität durch Anhängen eines hoch zellschädigenden Wirkstoffs zu erhöhen. Wir erwarten hohe Wachstumsraten für Lonza. Hier sind wir der unangefochtene Marktführer.
Gesundheitssysteme in Europa tun sich schwer, die steigenden Kosten neuer Therapien zu übernehmen. Wo sehen Sie die Lösung?
Es gibt keine Pauschalantwort. Auch wenn ich die spontane, kritische Reaktion über die hohen Kosten verstehe, muss man berücksichtigen, wie diese entstehen. Zu den gesamten Investitionen und gebundenen Kosten kommen die Risikokosten des Unternehmens hinzu. Beachten sollte man auch die Gesamtkosten der alternativen Heilmethoden.
Werden die Herstellkosten dereinst sinken?
Die Produktionsprozesse für Zell- und Gentherapien sind heute sehr komplex, manuell, instabil und kaum automatisiert. Diese Prozesse sind in ihrer Entwicklungsphase vergleichbar mit den mittels Gentechnik in lebenden Zellen hergestellten Biologika vor 15 Jahren. Die Pharmaindustrie und Lonza arbeiten aktiv daran, diese Prozesse effizienter zu gestalten, damit die Kosten sinken.
Befürchten Sie, dass die Wirkstoffe von Lonza am Ende in Therapien gehen, die sich nur noch Reiche leisten können?
Die Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Forschung in der Pharmaindustrie ist. Und zwar für alle – und nicht nur für die Vermögenden. Und das wird auch so bleiben. Auch Therapien oder Medikamente brauchen einen Markt. Je breiter, desto besser.
Sie sind studierter Biologe. Risikoexperten haben schon 2017 Szenarien von Pandemien erarbeitet. Rechnen Sie mit weiteren Pandemien?
Ich bin kein Epidemiologe. Trotzdem sollten wir von Covid-19 lernen, da weitere Pandemien folgen werden, die möglicherweise noch gefährlicher sein werden. In der Zwischenzeit müssen wir versuchen, so rasch wie möglich aus der aktuellen Krise herauszukommen.
Wie beurteilen Sie die Corona-Massnahmen der Schweiz für den Lonza-Alltag?
Die Corona-Massnahmen der Schweiz haben auch die Art und Weise, wie wir bei Lonza arbeiten, beeinflusst. Unsere erste Priorität ist die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeitenden. Bei der Umsetzung der Schutzmassnahmen gingen und gehen wir teils über die Vorgaben des Bundes hinaus. Damit sichern wir auch unsere Geschäftskontinuität. Es ist klar, dass unsere Gesellschaft beim nächsten Mal in der Lage sein muss, eine neue Pandemie viel schneller zu unterdrücken.
Mister Geberit
Er ist kein Ämtli-Sammler, dafür hat der Profi-Verwaltungsrat aus der Romandie gleich in zwei gewichtigen Gremien von SMI-Konzernen den Vorsitz. Seit 2018 ist Albert Baehny (68) Präsident von Lonza. Von November 2019 bis November 2020 war der diplomierte Biologe beim Pharmazulieferer just in der hektischen Pandemiezeit obendrauf noch Konzernchef und trieb das operative Geschäft in neue Höhen. Bekannt wurde Baehny als langjähriger Chef des WC-Herstellers Geberit, den er seit 2015 präsidiert. Baehny ist verheiratet und hat eine Tochter.