Wenn ihre Patienten nach der Corona-Erkrankung noch nicht gesund sind, verordnen viele Ärzte einen Kuraufenthalt. Über zwei Dutzend Kurhäuser haben sich bisher auf Erholungskuren spezialisiert. BLICK erhielt Einblick in die Therapien für die Virus-Geschwächten.
Über 500’000 Menschen haben in der Schweiz Covid-19 durchgestanden. Doch Tausende kämpfen immer noch mit den Folgen, sind nur ein Schatten ihrer selbst. Da die Medizin noch kein Allheilmittel kennt, greifen Ärzte auf Altbewährtes zurück und verschreiben Kuraufenthalte. Die Schweizer Tradition der Kurhäuser aus der Jahrhundertwende erlebt eine Renaissance.
Eines der zwei Dutzend Kurhäuser, die extra Kuren für Corona-Erkrankte anbieten, ist das Hotel Kurhaus am Sarnersee in Sarnen OW. Kurhaus-Leiter Diego Bazzocco (43) erklärt: «Die Patienten, die sich bei uns von Covid-19 auskurieren, sind physisch geschwächt und noch nicht in der Lage, den Alltag zu Hause selbständig zu bewältigen.» Vereinzelt seien sie auf zusätzlichen Sauerstoff angewiesen.
Treppensteigen trainieren
Die meisten erhielten die 14-tägige Erholungskur mit Aussicht auf den Sarnersee und die Melchtaler Berge ärztlich verordnet. Das Kurhaus habe kein Standard-Therapieprogramm für Post-Covid-Patienten. «Die Kurärztin stellt in Koordination mit den Physiotherapeuten ein individuelles Programm zusammen», führt Bazzocco aus.
Ziel sei es, dass die Gäste Kraft tanken könnten und ihre Kondition wieder erlangten. Häufig helfe eine medizinische Trainingstherapie und Alltagstraining wie zum Beispiel Treppensteigen.
Nach einer Corona-Erkrankung im Kurhaus eingecheckt haben sich laut Bazzocco Gäste im Alter von 59 bis 78 Jahren. Neben der Überweisung mussten sie auch eine Arztbestätigung mitbringen, dass sie nicht mehr infektiös sind. Die siebentägige Kur mit Rundumversorgung gibts ab 899 Franken pro Person.
Genesung in der Höhe
Die Nachfrage sei seit Anfang Jahr gestiegen, weil die speziellen Covid-19-Kuren langsam bekannt würden. Der Verband Heilbäder und Kurhäuser Schweiz (HKS) bietet neuerdings eine Übersicht über solche Kuren.
Zu den zwei Dutzend Kurhäusern mit Corona-Nachbehandlungsangebot gehört auch das Kurhaus Liebenau im Toggenburger Oberhelfenschwil auf 800 Meter über Meer. Die optimale Höhenlage zur Genesung, wie es heisst.
«Die meisten Patienten sind sehr geschwächt und leiden an grosser Müdigkeit», sagt Kurhausleiterin Renate Klein. Welche Therapien helfen am meisten? «Wir bauen die Patienten wieder auf, indem wir mit Gesprächen und Aktivitäten einen geregelten Tagesablauf prägen.» Die Programme für den körperlichen Aufbau seien individuell. Sehr hilfreich sind aus ihrer Sicht Atemtherapien. Aber leider seien diese nicht so bekannt und würden viel zu selten verordnet.
Es kann lange dauern
In der Liebenau kostet eine Kur pro Nacht Vollpension 155 Franken, hinzu kommen die Kosten für Pflege und Therapie. Wie lange es dauert, bis es den Patienten besser geht, ist laut Klein vom Krankheitsverlauf abhängig. Empfohlen seien mindestens zwei Wochen Kuraufenthalt. Manche Patienten sei schon länger als zwei Monate in Therapie. «Ein Wiederaufbau nach einem harten Covid-Verlauf kann lange dauern, vor allem bei unserer betagteren Klientel.»
In einer höheren Preislage spielt das Wellnesshotel Hof Weissbad im Appenzellerland. Eine «Covid-Erholungswoche» kostet 2319 Franken im Einzelzimmer. Nebst der medizinischen und therapeutischen Betreuung können sich die Gäste komplementär-medizinisch und mit Naturheilmedizin behandeln lassen.
—
Erschöpfung hält über Monate an
Noch fehlen klare Daten über die mittel- und langfristigen Folgekrankheiten von Covid-19. Eine aktuelle Studie aus China zeigt: Drei Viertel (76 Prozent) haben noch mindestens ein Symptom, und fast zwei Drittel (63 Prozent) leiden an Erschöpfung und Muskelschwäche. Verbreitet sind auch Schlafstörungen, Angstattacken, Depressionen sowie Unterfunktion der Lunge. 13 Prozent leiden an einer Nierenunterfunktion. Die Forscher stützen sich auf die Daten von 2500 Personen, die im Frühling an Corona erkrankten.
In der Schweiz sind die langfristigen Corona-Folgen ein noch weitgehend unbeschriebenes Blatt. Gemäss einer Gruppe von Betroffenen, die sich über die Seite longcovidch.info organisiert hat, fehlen offizielle Behördeninformationen, Sprechstunden und spezifische Behandlungs- und Reha-Angebote.
Nationales Forschungsprojekt
Immerhin gab das Universitätsspital in Genf (HUG) im Dezember bekannt, eine Long-Covid-Sprechstunde einzurichten. Das Universitätsspital Zürich unterhält bereits etwas Ähnliches.
Als Lichtblick sehen die Betroffenen, dass die Langfristfolgen von Corona seit letztem Sommer von drei Forschungsprojekten des Nationalen Forschungsprogramms «Covid-19» untersucht werden. Sie gehen davon aus, dass bereits aus der ersten Welle rund 10’000 Menschen in der Schweiz von Langzeitfolgen betroffen sind. Die Dunkelziffer sei vermutlich deutlich höher.
Anhaltende Atemnot
Die Corona-Taskforce des Bundes schrieb im November, dass wenig systematische Daten zu den mittelfristigen Folgen von Corona vorhanden seien. Bisher bekannt sei, dass bis zu 61 Prozent der hospitalisierten Patienten noch einen Monat nach Spitalaustritt relevante Einschränkungen in der Lebensqualität aufwiesen.
Dazu gehört etwa Atemnot. Die Hälfte der hospitalisierten Patienten weise Einschränkungen in der Lungenfunktion auf und sichtbare Veränderungen in der Lungentomografie.
Zu den Langzeitfolgen schreibt die Taskforce bloss von Hinweisen, dass Covid-19-Erkrankungen Auswirkungen auf das respiratorische und kardiovaskuläre System haben, die länger andauern als die akute Erkrankung. Ebenfalls seien Auswirkungen auf das Gehirn anzunehmen. Evidenz aus Untersuchungen fehle.