Die SBB geben einen IT-Auftrag nach dem anderen ins Ausland. Seit den Einnahmeeinbrüchen wegen Corona gehen vermehrt Schweizer IT-Firmen leer aus. Die SBB werden kritisiert, dass bei ihnen Preis vor Qualität gehe und sie Schweizer Know-how gefährdeten.
Die SBB werden immer mehr zu einem IT-Unternehmen mit Gleisanschluss. Mit 1200 internen Mitarbeitenden und 500 Millionen Franken Jahresvolumen sind sie eine der grössten IT-Arbeitgeberinnen der Schweiz. Doch die SBB-IT-Sparte, die wächst wie keine andere, vergibt einen Grossauftrag nach dem anderen ins Ausland.
Öffentlich ausgeschrieben werden müssen Aufträge über 230’000 Franken. Das jüngste IT-Grossprojekt, das die SBB vergaben, ging im März an die deutsche T-Systems. Für 178 Millionen Franken sollen Applikationen entwickelt werden.
Obwohl bei der Ausschreibung die Qualität am meisten Gewicht erhielt, kam am Ende das «wirtschaftlich günstigste» Angebot zum Zug, wie aus der Datenbank Simap hervorgeht. Diese Gewichtung ist offenbar bei den SBB nicht die Ausnahme, sondern die Regel.
Qualität solle vor Preis gehen
Auch beim Verfahren für externe Public-Cloud-Anbieter galt die Qualität mit 55 Prozent als wichtigstes Kriterium, der Preis zählte mit 35 Prozent. Doch die Cloud-Aufträge von je 38 bis 100 Millionen Franken werden ebenso vor allem Auslandsjobs schaffen. Im Januar kamen Amazon Web Services in Luxemburg sowie Microsoft und IBM in der Schweiz zum Zug – weil wirtschaftlich am günstigsten.
Patrick Kummer (31) vom Schweizerischen Eisenbahnverband (SEV) kritisiert: «Aufträge von bundesnahen Betrieben sollten auf keinen Fall aus Kostengründen ins günstigere Ausland verlagert werden, dazu zählen auch IT-Aufträge der SBB.» Insbesondere im öffentlichen Verkehr dürften wirtschaftliche Kriterien auf keinen Fall höher gewichtet werden als die Sicherheit und Qualität. Da stehe die SBB als bundesnaher Betrieb besonders in der Verantwortung.
IT-Unternehmerin und SP-Nationalrätin Jacqueline Badran (58) betont: «Gemäss neuem Beschaffungsrecht für die öffentliche Hand ist gerade im IT-Bereich – anders als bei der Beschaffung von Schrauben – die Qualität und nicht der Preis am höchsten zu gewichten.» Hinzu komme, dass T-Systems die Aufträge im Off- und Nearshoring an Länder wie Rumänien weitergebe. Dadurch verschlechtere sich die Qualität deutlich. «Das vermeintliche Sparpotenzial ist nicht gegeben», betont sie.
Kleinere IT-Unternehmen gehen leer aus
Ins Ausland gingen die letzten Wochen nicht nur Grossaufträge, sondern auch diverse IT-Projekte unter 230’000 Franken. Bei BLICK haben sich die letzten Wochen gleich drei Schweizer IT-Betriebe unabhängig voneinander gemeldet und kritisiert, dass die SBB trotz mehrerer Schweizer Offerten die Aufträge ins Ausland vergeben haben.
Sie gingen leer aus und möchten anonym bleiben aus Angst vor weiteren Auftragsverlusten. Ein IT-Unternehmer sagt: «Mit diesen Auslagerungen werden Programmiertätigkeiten aus der Schweiz im grossen Stil ins europäische Ausland verlagert und Arbeitsplätze in der Schweiz reduziert.»
Fakt ist, T-Systems hat gar nicht genügend Mitarbeiter für den Zehnjahresauftrag zur Hand, sondern baut dafür in Dresden extra eine neue Abteilung mit rund 100 Mitarbeitenden auf.
SBB argumentiert mit Mangel an IT-Fachkräften
Die SBB begründen, dass die Auslandsvergabe nötig sei angesichts des IT-Fachkräftemangels in der Schweiz. Fehlen der Schweiz wirklich die IT-Fachkräfte für solche Aufträge? «Das glaube ich keinesfalls – gerade in der Applikationsentwicklung steht die Schweiz sehr gut da», so IT-Unternehmerin Badran. Auch ICT-Experte Giorgio Pardini (61) von Syndicom sieht keine Fachkräftenot: «Die Bahn macht Near- und Offshoring, weil die Fachkräfte ausserhalb 30 Prozent weniger kosten.»
SBB-Sprecher Reto Schärli kontert, dass SBB IT pro Jahr rund 100 neue Spezialisten rekrutiere. Aber: «Trotz grosser Anstrengungen gelingt es oft nicht, genügend qualifizierte Fachleute in der Schweiz zu rekrutieren oder zu beauftragen.» Im Übrigen halten sich die SBB ans öffentliche Beschaffungsrecht und dürfen keine Inland-Anbieter bevorzugen. «Es gibt keine Häufung von Vergaben ins Ausland», betont er.
Auch auf bürgerlicher Seite sieht man die Auslagerungen kritisch. «Staatsnahe Betriebe haben eine besondere Verpflichtung, in der Schweiz Leistungen einzukaufen und die einheimische Wirtschaft zu unterstützen», sagt CVP-Nationalrat Martin Candinas (39). Es müsse alles unternommen werden, damit das IT-Know-how in der Schweiz bleibe.
Sparprogramm bei den SBB
Die SBB müssten drastisch sparen, hat die Bahn letzte Woche diversen Lieferanten unterbreitet, die sich bei BLICK meldeten. Sie müssten deshalb bis August ihre Kapazitäten abbauen. Läuft bei der Grossauftraggeberin SBB tatsächlich ein Corona-Sparprogramm?
Die Konzernleitung habe im April alle Mitarbeitenden über sofortige Sparmassnahmen informiert, sagt SBB-Sprecher Reto Schärli auf Anfrage von BLICK. Bis Ende 2020 gelte ein Einstellungsstopp für alle nicht bahnkritischen Bereiche. Davon nicht betroffen sei das operative Personal wie etwa Lokführerinnen oder Kundenbegleiter.
Für das Personal gibt es keine unterjährigen Lohnerhöhungen und Belohnungen, wie Schärli ausführt. «Zusätzlich wird jede Division und jeder Bereich weitergehende Einsparmöglichkeiten prüfen», ergänzt er. Auf welche Projekte verzichtet werde oder welche verschoben würden, sei je nach Situation differenziert zu betrachten.