Sich als flexiblen Arbeitgeber zu zeigen, gehört zum guten Ton. Doch wollen Firmen, die ihre Mitarbeiter wegen Corona ins Homeoffice senden mussten, diese Arbeitsform etablieren? Die Zustimmung ist gemäss einer Studie gross – aber auch die Erwartung, damit zu sparen.
Die Sommerferien neigen sich für die meisten Schweizer Angestellten bald dem Ende zu. Doch zurück ins Büro und die Arbeitsstätte müssen längst nicht mehr alle. Weil sie mit dem Homeoffice seit dem Lockdown gute Erfahrungen gemacht haben, bauen viele Firmen ihr Homeoffice-Angebot zügig aus. «Alle unsere Büromitarbeitenden haben neu die Möglichkeit, mindestens einen Tag pro Woche von zu Hause aus zu arbeiten», sagt etwa Lidl-Sprecherin Corina Milz. Natürlich sei das freiwillig.
Die Krankenkasse Groupe Mutuel startete bereits vor der Krise mit einem Homeoffice-Pilotprojekt, das sich aber noch nicht überall etablierte. «Die Krise hat diesem Projekt einen enormen Schub gegeben», sagt Groupe-Mutuel-Sprecher Serkan Isik. Homeoffice sei ab sofort für zwei Tage in der Woche möglich.
Bereits entschieden – wegen der Erfahrungen im Lockdown –, im grossen Stil Homeoffice einzuführen, haben auch Novartis und die Grossbank UBS. Beim Pharmakonzern können 110 000 Mitarbeiter weltweit wählen, ob und wie viel sie künftig im Homeoffice arbeiten wollen. Damit lässt sich viel Geld sparen: Nächstes Jahr will Novartis-Chef Vas Narasimhan (44) die nicht mehr benötigte Bürofläche – mitunter auf dem grosszügig gebauten Campus in Basel – an Dritte vermieten.
Homeoffice soll auch nach Corona bleiben
Auch UBS-Chef Sergio Ermotti (60) will mit mehr Homeoffice bei der Bürofläche sparen. Das Geschäft funktionierte während des Lockdowns auch mit 95 Prozent der Bankangestellten im Homeoffice tadellos.
Dass mehr Homeoffice-Möglichkeiten dem Bedürfnis von 80 Prozent der Angestellten entsprechen, bestätigt eine breit angelegte Studie des Internet-Arbeitsvermittlers Jobcloud bei über 3100 Angestellten, die BLICK exklusiv vorliegt. Vor der Corona-Krise konnten bereits 28 Prozent der Angestellten frei wählen, ob sie im Homeoffice arbeiten wollten. Weitere zwölf Prozent konnten ein paar Tage die Woche von zu Hause aus arbeiten.
Doch geben die Unternehmen bei Homeoffice wirklich Gas, wenn der Druck von Corona weg ist? Zwar wollen sich etliche Unternehmen wie Coop und Post noch nicht festlegen, ob sie Homeoffice ausbauen. Dennoch ist der Trend bei 265 von Jobcloud befragten Entscheidungsträgern eindeutig: 40 Prozent sehen Homeoffice nach Covid-19 als festen Teil des Arbeitspensums vor. Weitere zwölf Prozent wollen Mitarbeitenden komplette Flexibilität geben.
Dabei liessen sich auch die 38 Prozent der Firmen, die vorher keine Homeoffice-Möglichkeiten anboten, von den Corona-Erfahrungen überzeugen. Sie führen künftig einen festen Anteil an Homeoffice-Tagen ein, wie die Studie weiter zeigt. Der Corona-Schub dürfte damit den Anteil der Unternehmen, die regulär Homeoffice anbieten, von vorher 40 Prozent auf über 50 Prozent erhöhen.
Mangelndes Vertrauen der Arbeitgeber
Der Trend zeigt sich ebenso im Jobinserate-Markt. Gemäss einer Jobcloud-Analyse der ausgeschriebenen Stellen auf jobs.ch werben Firmen deutlich mehr mit der Möglichkeit für Homeoffice um neue Mitarbeiter. «Wir haben festgestellt, dass die Anzahl der Jobinserate, welche im Text die Möglichkeit zu Homeoffice erwähnen, zwischen Ende März und Ende Juni um 30 Prozent gestiegen ist», sagt Jobcloud-Chef Davide Villa (54) dem BLICK. Villa ist überzeugt, dass Arbeitgeber den Mitarbeitenden flexible Arbeitsmodelle anbieten müssten, damit sie weiterhin die besten Talente anziehen könnten.
Die meisten Unternehmen wollen gemäss der Umfrage mit dem Homeoffice die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen. Damit lasse sich auch ihre Produktivität steigern, sind 39 Prozent überzeugt. Für jeden dritten Chef kommt das Homeoffice gelegen, um die Infrastrukturkosten zu senken sowie Bürofläche zu sparen.
Ob das Homeoffice in normalen Zeiten die Unternehmen so billig kommt wie im Corona-Ausnahmezustand, ist aber fraglich. Längerfristig werden Angestellte zu Hause nicht mehr auf einen ergonomischen Bürostuhl verzichten wollen. Auch eine Zahlung an die Wohnungsmiete dürfte vermehrt ein Thema werden. Im Frühling hat das Bundesgericht einem Treuhandmitarbeiter, der ins Homeoffice geschickt wurde, einen Beitrag von 150 Franken an die Wohnungsmiete zugesprochen. Nur wenn die Mitarbeiter freiwillig im Homeoffice arbeiten, muss der Arbeitgeber nicht für die Kosten aufkommen.
Trotz Zuspruch sehen Angestellte das Homeoffice nicht nur positiv. Am häufigsten bemängeln sie das fehlende Vertrauen des Arbeitgebers. Dementsprechend gingen beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten während des Lockdowns klar mehr Anfragen betreffend Datensicherheit und Mitarbeiter-Tracking ein, wie BLICK auf Anfrage erfährt. Eine weitere Schattenseite von Homeoffice: Fast die Hälfte der Befragten gaben an, dass sie im Homeoffice zu viel arbeiteten und die Work-Life-Balance nicht im Griff hatten.
Expertin Alexandra Kühn (39) fordert eine Vertrauenskultur
«Firmen kontrollieren die Präsenz statt das Ergebnis»
Das Homeoffice sei schnell eingerichtet, sagt Alexandra Kühn, Geschäftsführerin der Work Smart Initiative, gegründet von Microsoft, SBB, Post, Swisscom und Witzig The Office Company. Mobile-Flexible Arbeit hat sich aber wegen fehlendem Vertrauen nicht etabliert. Der Lockdown hat daran nichts geändert.
Viele Firmen wollen das Homeoffice-Angebot ausbauen. Wird die Schweiz zur Homeoffice-Vorreiterin?
Alexandra Kühn: Erste Firmen wie Siemens und Novartis haben zwar vor kurzem ihre Homeoffice-Pläne angekündigt. Die Frage ist jedoch: Gelingt es den Firmen, sich nachhaltig zu verändern? Nach dem Pandemie-Homeoffice kommt ein grosser Brocken Arbeit auf sie zu. Diese betrifft die Organisationskultur.
Angestellte fanden im Homeoffice fehlendes Vertrauen des Arbeitgebers am herausforderndsten. Woher kommt das?
Wer vor dem Lockdown seinen Mitarbeitenden nicht voll vertraut hat, konnte das auf Distanz wohl noch weniger. Für Homeoffice braucht es eine Vertrauenskultur.
Wie schafft man diese?
Arbeitgeber erkundigen sich oft, ob und wann Angestellte arbeiten, statt was dabei herauskommt und ob die Ziele erreicht werden. Sie kontrollieren die Präsenz statt das Ergebnis. Wer hingegen vertraut, zeigt seinen Angestellten: Ich glaube an dich, ich weiss, dass du dein Bestes gibst! Das Ergebnis sind Mitarbeitende, die angespornt sind, diese Erwartungen zu erfüllen.
Etliche Konzerne wollen mehr Homeoffice und dafür bei Büromieten und Infrastruktur sparen. Wird das Sparpotenzial überschätzt?
Grundsätzlich können Betriebe durch Homeoffice tatsächlich Kosten reduzieren. Angestellte haben keinen Anspruch auf eine Entschädigung, wenn sie freiwillig von zu Hause aus arbeiten. Dass dadurch die betrieblichen Ausgaben sinken, ist ja auch nicht verkehrt – wenn dies nicht der einzige Grund für die Einführung neuer Arbeitsmodelle ist. Ich plädiere jedoch dafür, dass Betriebe das ersparte Geld woanders einsetzen.
Wofür?
In Massnahmen für die neue Arbeitswelt, beispielsweise Weiterbildungen, den Umbau von Arbeitsplätzen zu Begegnungszonen und Kreativräumen oder die Finanzierung eines Co-Working-Abonnements. So gesehen gibt es keine Einsparungen. Aber zufriedenere, fähigere Mitarbeitende, eine höhere Produktivität und mehr Innovationskraft. Dies ist ein Gewinn für alle.
Über ein Drittel der Angestellten sagen, sie hätten im Homeoffice länger gearbeitet als im Büro. Wie kommt das?
Wieso haben die befragten Mitarbeitenden denn mehr gearbeitet? Einige hatten sicherlich mehr zu tun im Lockdown. Vermutlich wiegt aber ein anderer Grund viel schwerer: Im Homeoffice ist es zentral, sich selber zu disziplinieren und zu organisieren. Es ist schwieriger, zwischen Arbeit und Freizeit zu trennen. Vorgesetzte brauchen keine Angst zu haben, dass das Homeoffice ein Home ohne Office ist. Aber sie tun gut daran, ihre Mitarbeitenden bei Bedarf zu unterstützen. Damit diese eben Pausen machen und abschalten. Im Homeoffice, wo die Struktur fehlt, ist dies für viele eine echte Herausforderung.