Gilmara Rüedi hielt ihre zwei Restaurants bisher knapp über Wasser. Doch weil sie Pensionskassen- und AHV-Gelder schuldet, wurde sie von Gastrosocial betrieben. Dabei schuldet ihr die Ausgleichskasse Erwerbsersatzgelder. Diese appelliert selber an den Bund.
Obwohl ihre zwei Basler Restaurants, das Klybeck Casino und die Walliserstube, fünf Monate keinen Umsatz machen konnten, hat Gastronomin Gilmara Rüedi (39) knapp überleben können. «Jetzt ist die Kasse leer, die Reserven sind aufgebraucht», sagt die Chefin von sechs Angestellten.
Deshalb hat sie die Betreibung ihrer Ausgleichs- und Pensionskasse Gastrosocial auf fast 5000 Franken wie ein Schlag getroffen. Tatsächlich habe sie die AHV- und Pensionskassenbeiträge für das vierte Quartal für drei Angestellte des Klybeck Casino noch nicht zahlen können. Deshalb habe sie Gastrosocial vorgeschlagen, den in Raten abzuzahlen. «Ohne Erfolg. Einen Tag später hatte ich die Betreibung im Haus.»
«Bund und Kanton foutieren sich um Restaurants»
Dabei schulde ihr Gastrosocial gleichzeitig eine Erwerbsersatzentschädigung von rund 15’000 Franken für September bis Dezember 2020. «Mit diesem Geld könnte Gilmara einen grossen Teil der geschuldeten Beträge begleichen», betont ihr Mann Michael Rüedi (59).
«Wir fühlen uns im Regen stehen gelassen und haben den Eindruck, die Gastrobetriebe sind Bund und Kanton egal», sagt Rüedi. Den Mietzins inklusive Nebenkosten von über 90’000 Franken für die fünf Monate konnte sie dank einem Entgegenkommen des Vermieters, Überbrückungskrediten und Erspartem bezahlen. Von der Stadt Basel hat sie 13’000 Franken bekommen.
Bis zur Pandemie liefen Restaurants gut
Die beiden Gastronomen fordern: «Gastrosocial soll uns einen Zahlungsaufschub von einem halben Jahr gewähren. Damit könnten wir die nächsten schwierigen Wochen überleben.»
Vor der Pandemie seien die Restaurants sehr gut gelaufen. Rüedi betont, dass Härtefallgelder nur etwas nützten, wenn sie sofort ausbezahlt würden. «Bis im Frühling können viele Restaurants nicht warten.» Da sie das Klybeck Casino erst vor zwei Jahren übernommen hätten, würden sie die harten Härtefallbedingungen wahrscheinlich nicht erfüllen.
Ausgleichskasse appelliert an Bund
Die als «Ausgleichskasse der Wirte» gegründete Gastrosocial steckt im Dilemma. Sie erhalte täglich Meldungen von Kunden, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können, erklärt eine Sprecherin. Sie fordert vom Bund, dass wie im Frühling die gesetzliche Pflicht für Mahnungen und Betreibungen ausgesetzt werden sollen und die Verzugszinsen erlassen – und zwar rückwirkend auf den 1. Dezember.
Die Corona-Erwerbsersatzentschädigung für Selbständigerwerbende sowie Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung sei zu komplex. «Obwohl wir zusätzliches Personal einstellten, haben wir 11’000 offene Ansprüche in Prüfung, die bis zu acht Wochen brauchen», sagt die Sprecherin.
Da die Situation für viele Restaurants existenzbedrohend sei, soll der Bund für Ausgleichskassen wie im Sommer wieder vereinfachte Abrechnungsverfahren ermöglichen. So können die Ausgleichskassen unbürokratisch und schnell die nötige Hilfe leisten.
So unterschiedlich helfen die Kantone stillgelegten Unternehmen
In St. Gallen regiert der Amtsschimmel
Die Januar-Rechnungen müssen bald bezahlt werden. Doch Tausende gebeutelte Betriebe haben nach Monaten von Umsatzverlusten keine Reserven mehr. Der Bund vereinfachte letzte Woche zwar den Zugang zu Härtefallgeldern. Ob eine Firma genügend schnell Zugang erhält oder aber Konkurs anmelden muss, ist Glückssache.
Denn je nach Kanton, kommt ein Unternehmen schon nächste Woche an erleichterte Hilfsgelder oder erst Ende Februar. Manche Kantone sprechen zusätzlich Fixkostenbeiträge, andere Mietreduktionen.
Auf die Kritik an der Trödelei hat die letzten Tage ein Kanton nach dem anderen die Programme aufgebessert. Vergleichsweise schnell und grosszügig unterwegs ist der Kanton Aargau. Er hat schon im Dezember erste Härtefallhilfen an Betriebe ausbezahlt. Sie mussten einen Umsatzeinbruch von nur 25 Prozent nachweisen – der Bund gab 40 Prozent vor.
Für die neuen vom Bund beschlossenen A-fonds-perdu-Beiträge für Schliessungen von mindestens 40 Tagen können sich Firmen im Aargau ab dem 25. Januar anmelden. Die ersten Auszahlungen sollen bereits bis Ende Januar stattfinden. Zusätzlich gab der Aargau diese Woche ein Programm für monatliche Fixkostenbeiträge bis 50 000 Franken je nach Branche bekannt, das auch nächste Woche startet. Sogar Gastronomen jubelten.
Auch Bern schöpft das neue Härtefallprogramm des Bundes aus. Anmelden können sich Firmen ebenfalls ab dem 25. Januar. Als Härtefälle gelten sie, wenn sie mindestens 40 Prozent des Umsatzes eingebüsst haben oder mehr als 40 Tage geschlossen werden mussten. Als «Aufbesserung» gilt, dass die Höhe der Hilfsbeiträge neu anhand der Fixkosten berechnet wird statt an den Umsätzen. Ein Ärgernis: Betriebe, die sich schon im ersten Programm beworben haben, müssen nochmals ein Gesuch stellen.
Gute Nachrichten erhielten im Kanton St. Gallen Zulieferfirmen von geschlossenen Betrieben. So sollen etwa Getränkelieferanten Zugang zu Härtefallgeldern haben, wenn sie 40 Prozent weniger Umsatz machten. Schwierig ist aber, dass Firmen in St. Gallen weiter aufzeigen müssen, dass die Finanzierung mit den Hilfsgeldern nach der Pandemie sichergestellt ist. Weiterer Wermutstropfen: Da das Gesetz für die Hilfen revidiert werden muss, fliesst das Geld nicht vor der Parlamentssession im Februar.
Ein Rennen gegen die Zeit auch im Kanton Zürich: Hier steht die notwendige Gesetzesänderung bis zum 25. Februar unter Referendumsfrist. Werner Scherrer (58), Präsident des Gewerbeverbands Zürich, weiss um die schwierige Lage vieler Firmen. «Aber wir können nicht das Gesetz aushebeln.» Immerhin: Statt einem Umsatzverlust von 50 Prozent müssen nur noch 40 Prozent Einbruch nachgewiesen werden.
In den anderen Kantonen ist der Nachweis beim Umsatzeinbruch kulanter – Zug etwa verlangt nur 20 Prozent. Viele wie Nidwalden und Solothurn übernahmen die letzten Tage die Bundesvorgabe von 40 Prozent.
Für Hans-Ulrich Bigler (62), Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, macht es trotz Verbesserungen kein Kanton wirklich vorbildlich. «Wir zweifeln zudem daran, dass die bereitgestellten Härtefallmittel ausreichend sind.»