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Schwieriges Entrée

Monika Rühl, die erste Direktorin von Economiesuisse. Foto: Economiesuisse

Die ehemalige Balletttänzerin Monika Rühl hat diese Woche ihren ersten Auftritt als neue Direktorin von Economiesuisse – sie soll den zerstrittenen Branchenverband aus dem Tief führen.

Claudia Gnehm

Zürich Einst tanzte sie. Ihre aufrechte Körperhaltung und die tadellose Diplomatenkarriere zeugen noch immer von der Standfestigkeit und Disziplin der ehemaligen Balletteuse. In der breiten Öffentlichkeit ist die zierliche Monika Rühl bisher kaum aufgefallen. Doch Rühl, ab nächster Woche erste Direktorin des mächtigen Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse, war die letzten Jahre immer dabei, wenn für die Schweizer Wirtschaft wichtige Weichen gestellt wurden. «Ich hatte viele Chefs», sagt die 50-Jährige im Gespräch. Mit Chefs meint sie zum Beispiel Ex-Bundesrat Joseph Deiss (CVP), den sie als rechte Hand auf Missionen und bei internationalen Verhandlungen begleitete. Unter Wirtschaftsministerin Doris Leuthard kam sie in die Geschäftsleitung des Staatssekretariats für Wirtschaft und leitete den Bereich bilaterale Wirtschaftsbeziehungen. Den Gipfel ihrer Bundeskarriere erreichte Rühl als Generalsekretärin unter Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (FDP).

Jetzt ist sie selber Chefin und verlangt von ihren Mitarbeitern Disziplin. Die Tochter eines deutschen Saisonnier-Kochs und einer Berner Kleinkindererzieherin fing 5-jährig mit Ballett an – damit sie auf Geheiss des Arztes eine gute Körperhaltung erlernt. Es war eine harte Lebensschule. Alle Jahre gab es Vorführungen. Ein Jahr lang übte sie für ein Solo, aber sie vergass vor der Aufführung ihre Ballettschuhe und musste zur Strafe zuschauen. «Diese Lektion hat mich geprägt», sagt die Zürcherin in einem leichten Berner Dialekt. Unzuverlässigkeit, Unpünktlichkeit und Schludrigkeit bringen sie auf die Palme. «Ich weise die Leute dann darauf hin. Zur Hyäne werde ich aber nicht», sagt Rühl mit sanfter Stimme, die man sich gar nicht laut vorstellen kann. Ihr Zivilstand ist «geschieden». Auf die Frage, ob sie noch zu haben sei, muss sie lachen.

Position ist identisch mit der ihres Vorgängers Gentinetta

Als Bundesbeamtin führte sie vor allem die vorgegebene Politik aus. Kann sie nun als Verbandsdirektorin den Weg vorgeben und die Themen setzen? Sie macht lächelnd, aber bestimmt klar: «Schon als Generalsekretärin des Departments war ich in einer Position, in der man nicht nur ausführt, sondern seinen Einfluss geltend macht.» So hat sie zum Beispiel Botschaften und Argumentarien geschrieben, um die Exportverbotsinitiative der GSoA zu verhindern.

Parteipolitisch hat sich Rühl bisher nicht exponiert. «Als Diplomatin vertrat ich die Interessen der Schweiz im Ausland, das umfasst für mich alle Schweizer. Das schloss für mich eine Parteizugehörigkeit aus.» Trotzdem ist ihre Position glasklar und identisch mit jener ihres Vorgängers Pascal Gentinetta: «Ich möchte mich für einen liberalen Wirtschaftsstandort Schweiz einsetzen.» Die Tendenz der Politik, ständig alles neu zu regulieren, bereite ihr Sorgen.

Rühl arbeitete noch nie in der Privatwirtschaft, doch ihre Nähe zur Wirtschaft überrascht nicht. Beim Bund hat sie über fast zwei Jahrzehnte die Interessen der Wirtschaft im Ausland vertreten. In ihrer letzten Position setzte sie sich für Freihandels-, Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen ein. Studiert hat sie Romanistik – das sei ein Bauchentscheid gewesen. Den Ballett-Traum musste sie nach einer nicht bestandenen Aufnahmeprüfung mit 13 Jahren begraben. Dafür lebte sie ihre Pas­sion für Sprachen. Mit 28 Jahren bewarb sich Rühl für den Diplomaten-Concours, reüssierte, und trat ins Aussendepartement ein. Nach einem Jahr in Brüssel war sie für vier Jahre Botschaftsrätin bei der UNO in New York und wurde danach persönliche Mitarbeiterin des damaligen Aussenministers Joseph Deiss (CVP).

Über ihre Diplomaten-Jahre, die langwierigen Verhandlungen, die eintönige Kost – obwohl sie gerne gut isst – sagt sie heute: «Es machte mir Spass, unterschiedliche Interessen zu einer Position zusammenzuführen.»

Diese Fähigkeiten wird sie brauchen. Economiesuisse ist innerlich zerstritten. Heikle Abstimmungen liegen vor ihr, etwa die Ecopop-Initiative. Nächstes Jahr stehen Wahlen an – und die Masseineinwanderungsinitiative hängt wie ein Schatten über dem Werkplatz Schweiz. Nervös mache sie das nicht, sie habe eine Herausforderung gesucht, sagt sie. Aber sie ­mache sich keine Illusionen über die angespannte Lage. Seit dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar warten manche Firmen mit Investitionsentscheiden ab. Rühl warnt: «Der wirtschaftliche Erfolg der Schweiz ist nicht gegeben.» In den letzten Jahren seien bereits weniger Firmen neu angesiedelt worden. Die ehemalige Bundesangestellte will künftig eine Rolle als Brückenbauerin zwischen der Wirtschaft und der Politik spielen.

Machtkämpfen erteilt sie eine Absage. «Ich mag ein Umfeld, in dem man mit offenem Visier aufeinander zugeht und die Probleme auf den Tisch legt.» Wenn ein Mitgliederverband mit einer Position nicht einverstanden sei, erwarte sie, dass er auf sie zukomme.

Dass sie als einzige Frau viele Männer überzeugen muss, ist für Rühl nicht neu. Ihre Wahl als erste Frau wertet die Direktorin als Zeichen des Aufbruchs: «Jetzt fängt etwas Neues an. Wir wollen das mit einer Frau symbolisieren.» Natürlich aber würde es in der Direktion und im Vorstand mehr Frauen vertragen, sagt Rühl.

Ihre Karriere wäre mit Kindern nicht möglich gewesen

Den hartnäckigen Frauenmangel in der Wirtschaft will sie nicht mit Quoten lösen. Die Unternehmen müssten mehr Mut haben, um eine Frau in eine Position ernennen, auch wenn sie das Profil zu Beginn nicht zu 100 Prozent erfülle. Es brauche aber auch die Bereitschaft der Frauen, Herausforderungen anzunehmen. «Frauen müssen mehr Selbstvertrauen entwickeln und sich mehr zutrauen», sagt sie. Rühl sagt offen, dass ihre Karriere mit Kindern nicht möglich gewesen wäre. Als persönliche Mitarbeiterin eines Bundesrates war sie acht Jahre abhängig von der Agenda anderer Personen. «Ich hätte Kinder vollständig fremd betreuen lassen müssen – das wollte ich nicht.»

Sie wusste bei ihrer Wahl im Februar nicht, was sie bei Economiesuisse erwartet. Inzwischen sei ihr klar, dass wichtige Entscheide auf strategischer Ebene getroffen würden und das Team motiviert und gefestigt sei. «Wir wissen, wo wir hinwollen». Präsident Heinz Karrer werde diese Woche wichtige Ergebnisse der inhaltlichen und strategischen Arbeiten bekannt geben. Damit die Wirtschaft künftig besser in der Politik vertreten ist, werden Rühl und Karrer die Unternehmen dazu auffordern, den Mitarbeitern mehr Freiheiten und Zeit zu geben, um sich lokal, kantonal oder national politisch zu engagieren. Die ehemalige Balletteuse beherrscht den Tanz auf Spitzen und in der Diplomatie. Jetzt muss sie auch ihre Standfestigkeit in der Wirtschaft beweisen.


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